Appetite For Destruction
(Hard Rock)
Label: Geffen (Universal)
Format: (LP)
Release: 1987
Eigentlich waren die Gunners ja genau die gleichen drogen- und sexsüchtigen Vorstadtkids, wie Legionen anderer, die irgendwann in den Achtzigern nach L.A. kamen um berühmt zu werden, Fernseher aus den Fenstern von Hotelsuites zu schmeißen, einen über die ganze Welt verteilten Groupieharem via MTV aufzubauen und … da war noch was… ah ja: Musik zu machen.
Diese Tatsache lässt sie uns von unserer heutigen Sicht aus gerne in einen Topf mit Bands wie POISON, RATT oder MÖTLEY CRÜE werfen und generell alles, was in den 80ern aus der Stadt der Engel kam unter der Kategorie „Poserrock“ laufen. Wir übersehen dabei aber eine wichtige Unterscheidung in Glam und Sleaze Rock, die GUNS’N’ROSES hervorgerufen haben und wahrscheinlich deswegen zur größten Rockband der beginnenden Neunziger geworden sind.
Und mit „Appetite for Destruction“ begann alles.
Natürlich begann alles schon Jahre davor, die Straßengeschichten sparen wir uns jetzt aber einmal und gehen gleich zur Materie über: Als „Appetite for Destruction“ erschien war es zuerst gar nicht mal sooo erfolgreich. Klar, Rockmusik war schon ein großes Ding, vor allem in den U.S.A., wo DEF LEPPARD, MÖTLEY CRÜE und VAN HALEN Millionen Platten verkauften mit einem Sound, der uns heute noch in den Ohren hallt (vor allem die legendären Achtziger-Snaresounds…).
Inmitten einer Welt aus Spandexhosen, Schminke und Gitarren mit Floyd Rose Tremolo wurden nun G’N’R geboren, deren irgendwo zwischen ROSE TATTOO, alten AEROSMITH und dem Punk anzusiedelnder Sound so gar nicht in die Zeit passte: steckten sogar alte Heroen wie ALICE COOPER oder die ihren zweiten Frühling erlebenden AEROSMITH ihre Version des Hardrock in das glitzernde Gewand der Achtziger, so frönten die Gunners einem rauen, von Les Pauls und organisch klingenden Drums geprägten Siebzigersound und ebneten somit den Weg für Bands wie UGLY KID JOE (am eher metalorientierten Rand des Spektrums) oder die BLACK CROWES (am eher Rock’n’Roll-geprägten Rand).
Soviel zur Verteidigung der Rocker-Ehre der Gunners, nun aber was zu „Appetite For Destruction“ selbst:
Ohne Frage einer der wichtigsten Hardrock-Releases überhaupt und das aus gutem Grund. „Welcome To The Jungle“, „Paradiese City“ und „Sweet Child O’ Mine“ sind Monumente, die unbestreitbar neben anderen vom Rock- zum Allgemein-Kulturgut gewordenen Songs wie “Highway To Hell”, „Born To Be Wild“ oder „Stairway To Heaven“ stehen. Alles andere auf „Appetite…“ ist nicht minder wertvoll, man höre oder erinnere sich bloß an den lässigen Sprechgesang – hier ist W. Axl Rose ganz er selbst, also eigentlich ein fieses Arschloch – über den punklastigen Riffs von „It’s So Easy“; den klassischen Hardrocker „Out Ta Get Me“ mit seinem hysterisch-aggressiven Gekreische; das autobiographische, ein später immer wieder verarbeitetes Thema (Drogensucht) aufgreifende „Mr. Brownstone“, das so sexy groovt, dass einzig „Anything Goes“ ihm vielleicht noch an Sexy-Grooviness das Wasser reichen könnte; Apropos „Anything Goes“: dieser Chicken Box-Effekt… Genial!
Ok, ruhig bleiben, durchatmen…
Was gibt’s noch: Zum Beispiel „Think About You“ mit seinem Pop-Appeal und als krasses Gegenteil „My Michelle“, das nicht nur bösartig daherstapft sondern auch eine der fiesesten Textzeilen in der Bandgeschichte der Gunners aufweist („Your daddy works in porno/ now that mommy’s not around/ she used to love her heroin/ but now she’s underground“) und in sarkastischer Weise über die hinter einer schillernden Fassade versteckten Dekadenz der Beverly Hills-Gesellschaft herzieht; „You’re Crazy“, das uns noch einmal begegnen wird und zu guter letzt meine Favoriten: „Rocket Queen“, die etwas andere Liebesnummer. Wer von der komplexen Beziehung der Protagonisten von „Leaving Las Vegas“ begeistert war, wird das hier lieben. Musikalisch ist die Nummer eine Mischung aus dem für GUNS’N’ROSES-typischen, sich vom straight runtergeholzten Achtziger Metal unterscheidenden, vorhin bereits angesprochenen Synkopen-Porn-Groove und einem hymnischen, äußerst dynamischen Schlussteil. Slash blüht auf: es gibt ein träges Slide-Solo in der Mitte des Songs sowie ein verdammt emotionelles bei dem die Finger nur so wirbeln gegen Ende. Auch Axl beweist, was er kann und wechselt geschickt zwischen unterkühltem, ruhigen Gesang und Sopran-Geträllere, bei dem es einem einfach das Herz zerreißen muss…
Aber genauso wie das Quintett sich damals keine Gedanken gemacht hat, sondern einfach drauflos gespielt hat, sollte man das hier besprochene einfach nur hören.
Für G’N’R-Verhältnisse ein vom Sound her recht schlicht gehaltenes Album, das hauptsächlich simple Rocksongs beinhaltet und fast ohne Keyboards auskommt und deswegen ein viel raueres Feeling hat als die beiden „Use Your Illusion“-Alben. Deswegen wäre damals mein persönlicher Verbesserungsvorschlag gewesen: die epochale Ballade „Patience“ hier noch mit rauf nehmen. Das hätte zwar „Lies“ recht überflüssig gemacht, „Appetite For Destruction“ jedoch zu einer für den menschlichen Verstand kaum noch verständlichen Göttlichkeit;o)
Tracklist „Appetite For Destruction“:
1. Welcome To The Jungle
2. It¸s So Easy
3. Nightrain
4. Out Ta Get Me
5. Mr. Brownstone
6. Paradise City
7. My Michelle
8. Think About You
9. Sweet Child O¸ Mine
10. You¸re Crazy
11. Anything Goes
Gesamtspielzeit: 53:37
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