Kein einziges schlechtes Album haben die Visionäre von ROTTING CHRIST in über 30 Jahren abgeliefert und ich bezweifle auch, dass das irgendwann passieren wird. Doch können die Griechen Meisterwerke wie „Aealo“ oder „Rituals“, die man in der letzten Dekade veröffentlichte, stets wiederholen oder sogar toppen? Das nun 13te Werk „The Heretics“ macht mir diese Frage nun absolut nicht einfach.
ROTTING CHRIST sind immer noch eine Bank was Songwriting, Vocallines, Atmosphäre, geniale Riffs und grandiose Rhythmen betrifft. Doch, was stört mich beim ersten Durchlauf an „The Heretics“, ohne dass ich wirklich etwas Negatives in der Musik finden kann? Es ist schlicht die fehlende Innovation. Stellt man die letzten drei Werke, zu denen auch „Kata Ton Daimona Eaytoy“ gehört nebeneinander, dann gleichen sich diese kaum und haben doch alle diesen einzigartigen ROTTING CHRIST Charme, wobei vielleicht „Aealo“ noch etwas rauer und brutaler produziert wurde. „The Heretics“ wirkt nun aber als würden die Griechen entweder eine Art Ära abschließen wollen oder einfach noch verdammt viel der letzten drei Writing-Sessions übrig gehabt haben. Letzteres traue ich Themis und Sakis aber einfach nicht zu.
Das neue Werk beginnt mit „In The Name Of God“, einem Songtitel der typisch für ROTTING CHRIST ist und halb als Song, halb als Intro schon mal für dichte Atmosphäre sorgt. Gesprochene Parts, geflüsterte Titel, Kirchenglocken und viele weitere Elemente lassen typische Themen wie Religion, Fegefeuer, Atheismus, Gott, Tod und Teufel aufleben. Sakis brüllt emotional und es folgt sogleich mit „Vetry Zlye“ ein Track, den man auch schon so in der Art kennt. Intensive, melodische Riffs bohren sich in Hirn und Mark, der Fronter brüllt wie eh und je, weibliche Vocals von der Russin Irina Zybina sind das Sahnehäubchen dieses kleinen Meisterwerks. Ebenfalls verdammt stark ist das vertrackt startende „Dies Irae“, das mit einigen Chören, Blasts und viel Death Metal Anteil überzeugt. Generell setzen die Griechen dieses Mal viel weniger auf Extreme, sondern wollen einen sakralen Sog erzeugen, der auch gelingt, wie „The Time Has Come“ ebenfalls beweist und mit Gastvocals von MELECHESH Fronter Ashmedi überrascht. Eindringliche Riffs, beschwörende Chöre und dynamische Rhythmen gibts in Fire, God And Fear“, das sich ganz plump dem Solo von „Demonon Vrosis“ bedient, was wieder ein Indiz für meine eingangs erstellte Vermutung darstellt. Aber das Highlight sind hier sicherlich die mehrstimmigen Vocals und die hypnotische Ausstrahlung. Ein weiteres Gusto-Stück der Südländer ist sicher „The Raven“, eine Eigeninterpretation von Edgar Allen Poes Klassiker, der für Gänsehaut sorgt. Nur hätte ich mir gewünscht, dass Sakis hier den Part „Nevermore“ nicht flüstert, sondern aus tiefster Seele herausbrüllt.
„The Heretics“ ist ein Album, das seine Zeit braucht und auf sofort zündende Hits wie „In Yumen“, „Noctis Era“ oder „Elthe Kyrie“ verzichtet, dafür aber als Gesamtkunstwerk bestens funktioniert. Stellt man sich auf atmosphärische MidTempo Kost mit hoher Intenstität ein, dann wird man auch mit dem 13. Werk der Griechen seine große Freude haben. Etwas mehr Mut für Neues hätte aber dennoch nicht geschadet. Auch „The Heretics“ würde an der Höchstpunktemarke kratzen, würde die drei erwähnten Vorgänger nicht bereits schon das Meiste hier gebotene so oder so ähnlich erzählt haben. Dennoch sind ROTTING CHRIST nach wie vor eine unangefochtene Institution, die sowieso kein durchschnittliches Album fabrizieren kann.
Tracklist „The Heretics“:
1. In The Name Of God
2. Vetry Zlye
3. Heaven And Hell And Fire
4. Hallowed Be Thy Name
5. Dies Irae
6. I Believe
7. Fire, God And Fear
8. The Time Has Come
9. The New Messiah
10. The Raven
Gesamtspielzeit: 43:39