An einem Samstagabend, am 23.September, saß ich mit den deutschen Punkern von 100 KILO HERZ draußen vor dem Wiener Chelsea vor ihrer Show, tranken ein Bier und hatten ein sehr entspanntes Interview. Wir sprachen mit den sympathischen Jungs über das Album, das Tourleben und tiefgründige Texte, die berühren.
Hallo liebe Leute von 100 KILO HERZ, freut mich, dass wir es geschafft haben, freut mich, dass ihr euch die Zeit nehmt.
Marco: Ja, war ja lange geplant, haha
Haha wunderbar, ich habe das Vergnügen und sitze tatsächlich mit der ganzen Band zusammen, und ich würde sagen, wir springen gleich rein. Heute ist das erste Konzert eurer Tour und gestern hatte ihr die Warmup Show im schönen Zittau – wie war’s für euch?
Marco: Warm, haha in erster Linie sehr sehr warm. Aber Back to the Roots würde ich sagen, so richtige Basisarbeit.
Wieso Basisarbeit?
Marco: Zittau ist, auf deutsch gesagt, am Arsch der Welt, und wir haben in einem alternativen Laden gespielt, der eigentlich in der tiefsten rechten Ecke liegt…Ost-Sächsische Provinz.
Rodi: Gestern waren die Leute teilweise wirklich sehr dankbar. Ein Gast meinte, „man hat manchmal das Gefühl, für manche Leute hört Deutschland in Dresden auf und weiter kommen Bands nicht“…
(Kommentar) Die U6 rauschte über die U-Bahnbögen und wir hatten ein kurzes Gespräch darüber, ob es eine U-Bahn oder eine O-Bahn ist, so wie in Hamburg haha – witzige Truppe.
Rodi, eine Frage für dich. Für Dich war es der Auftakt zur letzten Tour mit 100 KILO HERZ, du verlässt ja leider die Band. Wie fühlst du dich?
Rodi: Ich fühl mich immer noch gut, ich hab ja erklärt warum das so ist und ich hab der Tour schon positiv entgegen geblickt, da wir hier auf dieser Tour in kleineren Clubs spielen in denen in mich wohlfühle und nicht so die großen Bühnen. Da freu ich mich einfach auf die nächsten drei Monate, es werden coole Konzerte und danach bin ich gespannt, was die Jungs weiter machen.
Darauf sind wir alle gespannt. Jetzt zu eurem Album, bzw. wie ihr eure Alben gestaltet. In Zeiten von Single Releases nehmt ihr euch aber Zeit und habt immer ein Konzept für eure Alben. Bei „Stadt Land Flucht“ heißt das erste Lied „Drei Jahre Ausgebrannt“ und der letzte heißt „Wenn Es Brennt“. Bei eurem aktuellen Album heißt der erste „Lichter An“, der letzte „Lichter Aus“ – wie plant ihr das alles?
Rodi: Wir sind schon gute Dramaturgen haha. Das mit „Lichter Aus“ und „Lichter An“ war irgendwie geplant. Aber das mit „Drei Jahre Ausgebrannt“ und „Wenn Es brennt“ ist mir bis jetzt noch nie aufgefallen.
Claas: Voll, noch nie aufgefallen haha. Krass.
Haha, ich dachte, ihr seid so richtig tiefsinnig…
Marco: Jaja, sehe ich genauso, haha…
Rodi: Diesmal war es tatsächlich geplant, das letzte Mal wars anscheinend eine Überraschung haha.
Eure Texte sind sehr direkt und sehr hart, wer schreibt denn bei euch die Texte?
Rodi: Ich hier.
Dann bin ich schon wirklich gespannt, was die nächste Generation 100 KILO HERZ bringt. Bei euch beim Song-Writing ist es ja, hab ich mal gelesen, wie ein Mosaik, jeder trägt ein Stück bei, aber wie läuft das dann tatsächlich?
Rodi: Das mit dem Mosaik war eigentlich nicht nur aufs Song schreiben bezogen, sonder auf die ganze Band. Alle bringen ihre verschiedenen Talente mit ein. Marco macht unglaublich viel Organisation im Hintergrund und bringt viele Songideen in den Proberaum. Claas der auch sehr viele Sachen in den Proberaum mitbringt. Flecki der sich im Hintergrund auch um ganz viel Orga kümmert. Falk der bei den ersten beiden Alben die Covers gemacht hat und jetzt auch. Und so spielt die ganze Band zusammen und das hat es auch gebraucht, damit wir heute da sind wo wir sind.
Claas: Jeder hat auch einen eigenen Musikgeschmack, den jeder mit einbringt, und das ergibt dann auch das Puzzle aus sechs Leuten. Ich hab mit Jazz angefangen und das bringt mir sehr viel heute.
Marco: Blasorchester, böhmische Volksmusik, haha…
Falk: Es haben alle vorher in anderen Bands gespielt und das hat sich bei uns dann summiert.
Interessant, wo ist denn die größte Spannweite bei euch? Gibt es jemanden, der aus dem Black Metal kommt, haha ?
Marco: Haha, Black-Metal vielleicht nicht, aber die harten Sachen mag ich schon, VOLBEAT und so. Man öffnet sich halt immer mehr, auch Pop und Hip-Hop, ANTILOPEN GANG zum Beispiel.
Claas: Im Proberaum ist es aber dann fast nicht trennbar. Während die Rhythmus Gitarren spielen, spielen Flecki und ich vor uns her, basteln rum und dann sagt einer „oh das klingt gut, mach das nochmal“ und dann wird etwas daraus gebastelt. Und oft kommt auch am Ende etwas ganz anderes raus, als mit dem Material mit dem man reingegangen ist.
Rodi: Und wenn es so ist wie bei „Brocken Pflaster Steine“, da setzt sich Claas hin und feilt zuhause weiter an der Melodie.
Cool danke für die umfangreiche Antwort. Schön zu hören, dass bei euch aber viel im Proberaum entsteht und nicht alles im Studio. Coole Band-Dyamik.
Rodi: Mein Lieblingsmoment war, als Marco mit einer Demo in den Raum kam und alle meinten cool, daraus könnten wir einen Song machen, und dann musst ich einhaken, und sagen… ja ist cool, haben wir aber schon mal gemacht haha. Das war eine Demo, die wir schon mal benutzt haben, aber dann wurde daraus etwas komplett anderes.
Auf dem jetzigen Album habt ihr auch zwei Feature Songs drauf. Was hat euch denn bei JUPITER JONES und bei KOPFECHO am meisten überrascht?
Marco: Nicolas war immer schon ein Wunsch-Kandidat, mit seinem Ausstieg bei JUPITER JONES, seinem Buch und seinen Angst-Traumata, ist er einfach eine Wahnsinns Persönlichkeit. Vor allen musikalisch, sehr charismatische Stimme, und dadurch erschien er für uns einfach unerreichbar mit seinen Radio Hits. Dann gab es da mal einen Cover-Song Wettbewerb und ich saß für das Video mit seinem Buch in der Hand da und er hatte das dann auf Instagram kommentiert und so sind wir ins Gespräch gekommen und haben gefragt, ob er Lust auf ein Feature hätte. Schönen Gruß an der Stelle an Nicolas!
Rodi: Und bei Amy wars bei dem Song uns thematisch klar, dass eine weibliche Stimme sehr gut passen würde, und wir kennen uns schon eine Weile und haben auch bereits ein paar mal zusammen gespielt und sie hat auch im selben Studio aufgenommen wir wir auch aufgenommen haben und wohnt halt auch um die Ecke. Das Arbeiten war unfassbar angenehm mit ihr. Was mich am meisten überrascht hat beim Aufnehmen, es gab eine Stelle im Song wo der Tontechniker meinte „gefällt dir der Part von Amy“ und ich meinte nur „ja absolut, der Part war vorher viel schwächer und jetzt ist der mega“.
Wahnsinn, dass das so gut funktioniert hat, und dass ihr auch so schnell die Rückmeldungen und Zusagen bekommen habt.
Marco: Ja und auch wenn es im Song „Keine Zeit Für Angst“ thematisch eigentlich um etwas anderes geht, passt es doch irgendwie sehr gut, dass Nicolas hier mitsingt, da er selbst auch mit Angstattacken zu kämpfen hatte.
Das bringt mich gleich zu meiner nächsten Frage. Euer Texts sind hart und ehrlich und ihr sprecht sehr ernste Themen an: Depressionen, Burn Out und Selbstmord. Darüber zu singen, muss einem doch auch mal schwerfallen. Du hast ja alle Texte geschrieben Rodi, du musst die Frage nicht unbedingt beantworten, aber gibt es da einen persönlichen Bezug dazu?
Rodi: Ich bin überrascht bei welchem Song du da den Selbstmord-Bezug rausgehört hast?!
Claas: Wahrscheinlich in „Testament“ oder?
Flecki: Oder „Station 30“?!
Ja, sowohl als auch, kann aber auch eine Missinterpretation von mir sein.
Rodi: Es gibt davon Themen die mich betreffen, aber es gibt Themen die Menschen betreffen, die ich sehr gut kenne und ich versuche es dann so zu verarbeiten, dass sich da mehrere Menschen darin wiederfinden können. Zum Beispiel am neuen Album, eines der wichtigsten Lieder für mich ist „Spiegel“. Ich habe von vielen Leuten schon die Rückmeldung bekommen, dass sie sich darin wiederfinden sehen. Wenn es in dem Song nämlich darum geht, dass man sich alleine fühlt. Wenn ein anderer Mensch ein Lied darüber schreiben kann, zeigt das schon, dass man vielleicht doch nicht alleine mit diesem Gefühl ist.
Claas: Wir sind auch eine Band, die den Finger immer in die Wunde legt und kein Thema ausgespart, das auch gesellschaftskritisch ist.
Ich glaube, das trifft es sehr gut. Was ganz anderes, wenn ihr den Wunsch frei hättet mit einer Band auf Tour zu gehen, wer steht denn da auf eurer Liste? Jeder darf zwei Bands nennen.
Alle Lachen (schwierige Frage)
Claas: Naja, ich fang dann mal an, ich häng gerade bei einer Band – BIFFY CLYRO.
Marco: Ich würd, dann einfach mal BLINK in den Raum werfen. Ich war leider nicht auf den Konzerten, weil wir ja selber Konzerte spielen mussten, ich meine natürlich „durften“ haha, durften meine ich. Ich mag halt Bands, die so eine Center Stage haben, wo du rundherum Publikum hast.
Flecki: Ich fänd’s cool mit einer Band, die auf den ersten Blick vielleicht gar nicht so zu uns passt.
Marco: Jetzt bin ich gespannt
Flecki: ANTILOPEN GANG zum Beispiel, das fänd ich cool!
Rodi: Wenn ich zwei nennen darf.
Marco: Eine, haha…
Rodi: Stefan hat gesagt ich darf zwei nennen, haha. Dann wäre es für mich im deutschen Raum relativ klar CASPER und im internationalen Raum AGAINST ME.
Sehr coole Bands dabei, und jetzt eine Frage, die ihr vielleicht noch nie gehört habt. Bei Earshot.at geben wir den Bands die wir interviewen auch die Chance, eine Frage an die nächste Band zu stellen. Und diese Frage hat uns sehr gefallen – wenn ihr vierzig Jahre in die Zukunft denkt, wie stellt ihr euch euer perfektes Abschiedskonzert vor?
Marco: Also in 40 Jahren bin ich 85 haha. Also am besten stehend und im besten Fall mit den ROLLING STONES als Vorband, haha!
Rodi: Ich hab mich mal mit unserem ehemaligen Saxophonisten unterhalten, der ebenfalls Stefan hieß, und der die Frage nach Abschiedskonzerten sowieso hinterfragt hat. Aber auch ihm habe ich gesagt, ich war schon auf Abschiedskonzerten von Bands und ich würde gerne alles erleben, was ich von Bands mal auf der Bühne als Fan gesehen habe. Und so würde ich mir nach meinem Abschiedskonzert nach dem letzten Song, von EDDIE VEDDER „Society“ aus dem „Into The White“ Soundtrack wünschen. Weil es einfach ein mega krasser Song ist, der für so ein Erlebnis angemessen ist. Es sollte nämlich nichts Trauriges sein. Wir lieben alle Bands, und wir lieben es, auf Konzerte zu gehen.
Marco: Und sowieso ist das Schönste nach einem Abschiedskonzert die Réunion danach, haha. Aber man muss schon sagen, die Stimmung, die bei solchen Konzerten nach dem letzten Akkord herrscht, diese Melancholie, das ist schon absolute Gänsehaut-Stimmung. Aber darüber müssen wir jetzt gar nicht reden, weil uns das ja noch nicht betrifft haha, wir sind hier heute bei unserem Tourauftakt in Wien, haha!
Rodi: Ich hab mal einen Song über meine Beerdigung geschrieben, also klar denk ich da ein bisschen drüber nach, haha…
Haha, jetzt kannst du mir die interpretation mit Selbstmord aber nicht mehr übel nehmen…
Rodi: Haha, ja klar, ich würde schon gerne so lange leben wie möglich, aber trotzdem muss man über den Tod nachdenken.
Claas: Ja, da denken wir dann mit 85 drüber nach…
Marco: Ah was MICK JAGGER kann, kann ich schon lange, haha!
So, ihr habt jetzt noch die Chance eine Frage für die nächste Band die wir interviewen dazulassen, und zwar für MADSEN.
Marco: Wenn ihr die Wahl hättet, auf welches Konzert würdet ihr lieber gehen, NIRVANA in der Originalbesetzung, oder QUEEN?
Haha, geile Frage. Danke für das Interview, gibt es noch etwas, was ihr unseren Lesern mitgeben möchtet?
Marco: Geht mehr auf kleine Konzerte, unterstützt die kleinen Bands!