Die ersten Zeilen eines Reviews über SLEEP TOKEN sind die Schwersten. Wie weit lässt man sich auf diese unendlichen Diskussionen über die Band und ihre stilistische Einordnung ein, oder ignoriert man einfach die teils komplett sinnbefreiten negativen Kommentare und belässt es bei einem Wundern über die überschüssige Zeit, die so manche Menschen anscheinend haben, um ewig lange abwertende Tiraden zu verfassen. Am besten man folgt zweiterem Ansatz und bildet sich selbst eine Meinung. Jede Musikliebhaber*in sollte versuchen sich ein Bild zu machen und dann SLEEP TOKEN persönlich zu bewerten, ob positiv oder negativ, denn beides ist zulässig. Der Hype ist gigantisch und dem riesigen Marketingfeldzug kann man gegenüberstehen, wie man will. Aber jede*r aktive Musiker*in greife sich hier bitte selbst an die Nase und erkläre ehrlich, dass man in der Situation der Briten nicht ganz genau dasselbe machen würde. Das Musikbusiness ist beinhart dieser Tage und lässt kaum Bands über die Runden kommen. Jeder ergreift die eine Chance, die sich bietet, so ehrlich muss man sein.
Aber jetzt zu dem, was dieses Review eigentlich bewerten sollte, und das ist das vierte Album der polarisierenden Briten „Even In Arcadia“. Klammert man alle Emotionen und Meinungen aus und widmet sich nur der Musik, haben SLEEP TOKEN vor allem wieder eines zu bieten: Kompositionen, die stet überraschen und es wie keine andere Band schaffen Brücken zwischen den Stilen zu bauen.
Der Opener “Look To Windward” beginnt leise und führt die charismatische und einzigartige Stimme von Vessel ein. Sein Organ ist so unverwechselbar wie kraftvoll und gibt der Band diese großartige soulige Note im moderierten Chaos der Stile. Das fast achtminütige Stück ist ein einziger großartiger Spannungsbogen. Von zurückgenommenen Passagen bis zum ersten Ausbruch. Und gerade hier hat die Produktion von „Even In Arcadia“ ihre Stärke. Wenn die Gitarren wirklich losbraten, dann wackeln die Wände, so glasklar ist die moderne Produktion. Fast etwas djentig mit tief gestimmten Gitarren und klarer Metalkante im Riffing sind es diese Momente, in denen SLEEP TOKEN zu bewegen wissen. Plötzlich biegt das Stück mit einem Trap-Beat in Hip-Hop Gefilde hab, was aber durch Vessels Singstimme nie cheesy wirkt, sondern herausragende Kontraste setzt. Leise, laut, langsam, schnell, hart, weich … es ist alles vorhanden und eine homogene Masse. Der Opener ist ein klarer Hinweis darauf, dass niemand weiß, was nun folgen wird und mit Allem zu rechnen ist. So kommt es dann auch. Wir haben mit der Crossover geprägten Nummer „Emergence“ und „Caramel” zwei Stücke, die das Beste von SLEEP TOKEN 2025 vereinen. Krachende Parts, die Vessel auch einmal aggressiv nach vorne ausbrechen lassen, gefolgt von hymnischen Refrains, die langsam und getragen wunderschöne Bilder im Kopf erscheinen lassen.
Und das absolute Highlight ist dann der Black Metal Ausbruch am Ende von „Caramel“, der in der Härte und Dunkelheit so nicht zu erwarten war. Dazu setzen SLEEP TOKEN mit „Past Self“ und „Damocles“ zweit absolute Kontrastpunkte. Die Songs sind glasklare Popnummern, die aber trotzdem dem Fluss des Albums guttun und songwriterisch große Kunst darstellen. Hier, ebenso wie in der Ballade „Even In Arcadia“ würde der einzige kleine Kritikpunkt ansetzen. Der offen eingesetzte Autotune ist gerade bei diesen Nummern klar vernehmbar und sicher nicht jedermanns Sache. Fakt ist aber, dass Autotune einfach eine Sound Ästhetik Frage ist, und in der Situation für SLEEP TOKEN die favorisierte Variante war, was so zu akzeptieren ist. Nötig hätte es Vessel sicher nicht. Der Abschluss ist noch einmal richtig stark. „Gethsemane“ ist ein herausragendes Stück mit polyrhythmischem, Math-Rock geschwängertem Riffing. Vessel klingt mal verletzlich, mal kraftstrotzend vor den wabernden Gitarrenwänden. „Infinite Baths“ ist ein Ausklang des Albums in Härte. SLEEP TOKEN hatten einfach Lust am Ende nochmals richtig draufzuhauen und stellen das härteste Stück ans Ende. Ein absolut grandioses Finale.
Sind SLEEP TOKEN Metal? Das ist eigentlich komplett egal und sollte niemanden wirklich bewegen. Die Band bringt eine immer seltener werdende Eigenschaft mit: „Even In Arcadia“ öffnet Bilder und Welten im Kopf der Zuhörer, schafft Emotionen und das ist mehr als genug, um diese Band als einzigartigen und absolut berechtigten großen Akteur in der modernen zeitgenössischen Musik anzuerkennen.
Tracklist „Even In Arcadia“:
1. Look To Windward
2. Emergence
3. Past Self
4. Dangerous
5. Caramel
6. Even In Arcadia
7. Provider
8. Damocles
9. Gethsemane
10. Infinite Baths
Gesamtspielzeit: 56:33
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