Entsprungen aus dem Eiszeitalter des Punkrock

Beim SBÄM Festival in Wels hatten wir die Gelegenheit, mit Mike Davenport von THE ATARIS zu sprechen. Nach zwei Jahrzehnten Pause ist das legendäre „So Long, Astoria“-Line-up endlich zurück auf Europatour – samt neuer Single „The Car Song“, Nostalgie, Emotionen und spannenden Ausblicken auf die Zukunft. Ein ehrliches Gespräch über Familienmomente auf der Bühne, kreative Prozesse und das Comeback des Punkrocks.


 

Danke, dass du dir die Zeit für dieses Gespräch nimmst. Es ist ja schon eine Weile her, seit ihr zuletzt in Europa wart. Ich glaube, ihr wart vor zehn Jahren das letzte Mal hier. Gibt es irgendwelche verrückten Geschichten von dieser Tour bisher? Irgendwas richtig Wildes?

Nein, diese Tour war ehrlich gesagt sehr ruhig. Weißt du, das Beste sind wirklich die Shows. Pop-Punk ist zurück, oder? Wenn wir zurückdenken: Unsere große Zeit waren die 90er und frühen 2000er. Dann nennen wir die Zeit von 2005 bis 2015 das „Eiszeitalter des Punkrock“. Aber jemand hat mir mal etwas Cooles gesagt: Punkrock geht mit den politischen Zeiten. Irgendwie stimmt das. Jetzt ist alles so durcheinander, sodass Punkrock in den USA wieder angesagt ist. GREEN DAY, THE OFFSPRING, BLINK-182 – alle sind wieder richtig groß. Das bringt uns allen einen Aufschwung.

Es ist unsere erste Tour mit dem originalen THE ATARIS-Line-up seit zwanzig Jahren, mit dem „So Long, Astoria“-Line-up. Es ist auch unsere erste gemeinsame Europatour seit zwanzig Jahren. Chris und ich haben zwar schon einiges zusammen gemacht, und das war auch gut, aber nicht so gut wie jetzt. Es läuft wirklich super, aber nichts total Verrücktes bisher – einfach harte Arbeit und wahnsinnige Shows. Die Konzerte sind richtig groß, überall ist Nostalgie.

Meine Generation ist mit euch, THE OFFSPRING und Co. aufgewachsen, und jetzt bringen wir unsere Kinder zu euren Shows. Wie fühlt sich das für dich an?

Für mich ist es einfach, weil ich einen 14-jährigen Sohn habe, und der ist Punkrocker. Er liebt GREEN DAY, PIERCE THE VEIL, SLEEPING WITH SIRENS. Er kommt zu all meinen Shows, ist Backstage, im Publikum, und ich sehe seine Freunde – die stehen auch alle drauf. Das ist wirklich cool zu sehen. Was ich vorhin auch meinte: Es ist echt seltsam – Punkrock ist zurückgekommen, kein anderes Musikgenre hat das geschafft, was Punkrock geschafft hat. Hair Metal kam und ging: kein Comeback. Yacht Rock kam und ging: kein Comeback. Punkrock ist zurück und die Kids lieben es.

THE ATARIS - Mike Davenport

Es spricht wirklich jede Generation an.

Ja, mein Sohn mag auch TURNSTILE. Das Verrückte ist, all diese Bands sind gar nicht neu – die gibt es schon seit zehn oder zwanzig Jahren – aber die Kids lieben sie. Er hört auch Bands wie PACHINKO und YOUR ARMS ARE MY COCOON. Das sind eher Hardcore-Bands – die Kids stehen wohl auf das Geschrei.

Ich würde gern mit dir über eure neue Single „The Car Song“ sprechen.

Ich habe damals die Band verlassen und viele Jahre lang mit meiner Band VERSUS THE WORLD Musik gemacht. Dann kam ich 2020 zurück, als COVID ausbrach, und habe zu Chris gesagt: „Du hast keine neuen Songs geschrieben.“ Und er macht wirklich alles – das Geschäft, die Organisation, einfach alles. Da habe ich gesagt: „Ich komme zurück und übernehme den geschäftlichen Teil, damit du dich auf deine Kunst konzentrieren kannst, denn du bist ein echter Künstler.“

„The Car Song“ markiert den Anfang von „So Long, Astoria“ Teil 2. Der Song ist wie der große Bruder von „In This Diary“. Wir spielen ihn auf dieser ganzen Tour zum allerersten Mal live. Er klettert in den USA die Alternative-Charts hoch. Es läuft echt gut. Ich glaube, die Leute fühlen es. Ich glaube, genau hier hat THE ATARIS immer hingehört.

Ehrlich gesagt, ich habe in den letzten Tagen mit ein paar Fans draußen gesprochen, und alle sagen, THE ATARIS hätten schon vor zehn Jahren nach Europa zurückkommen sollen. Ihr hättet so viel mehr verdient. Die Leute lieben euch hier. Das Publikum war super und alle haben es gefeiert.

Aber ist es nicht irgendwie besser, die Leute warten zu lassen? Teil des Charmes ist doch, dass wir nicht wie andere Bands sind – ich nenne jetzt keine Namen – die einfach Album nach Album nach Album rausbringen. Es hat auch was, anders zu sein.

Chris ist ein echter Künstler. Ich liebe ihn, wir sind Brüder und er ist ein echter Singer-Songwriter. Das sind nicht alle Pop-Punk-Bands. Wenn Chris einen Song schreibt, dann ist das echt.

Wenn du uns heute Abend gesehen hast, dann hast du’s gehört: er ist ein großartiger Gitarrist. Er spielt diese verrückten Parts und singt dazu noch diese krassen Melodien. Unsere Songs wachsen mit uns.

Ich hab gehört, dass Chris euch „The Boys Of Summer“ zum ersten Mal vor einem TV-Auftritt gezeigt hat und ihr den Song davor noch nie geprobt habt. Stimmt das?

Naja fast, es war fast so. Wir waren auf Tour und sollten für unser neues Label Columbia Records (Sony) spielen. Chris und ich haben „The Boys Of Summer“ von Don Henley an einer Raststätte gehört. Am nächsten Abend beim Soundcheck hat er den Song gespielt. Er meinte, wir sollten das covern. Das hat er schon bei 100 anderen Songs gesagt, aber diesmal meinte ich: „Lass es uns machen. Ich liebe den Song.“ Wir haben ihn kurz geprobt und dann beim Konzert gespielt. Manchmal findet man einen Song, manchmal findet der Song dich. Und dieser hat uns gefunden.

Ich habe auch gehört, dass Chris immer noch gerne Akustikgitarre spielt – er nennt sich selbst eine Jukebox. Wie funktioniert das Songwriting heutzutage bei euch als Band?

Heutzutage wohnen wir alle in verschiedenen Teilen des Landes. Chris und ich sind in North Hollywood, John ist in New York, und Kid (unser Drummer) ist in San Francisco. Chris bringt mir meistens einen Song und sagt: „Lern das.“ Dann lernen wir die Songs zu Hause, nie gemeinsam und wenn wir uns treffen, spielen wir sie.

„The Car Song“ haben wir vor drei Tagen zum ersten Mal live gespielt. Heute war erst das dritte Mal. Es war großartig.

Ich habe den Song schon am ersten Ton erkannt, und auch das Publikum hat es geliebt. Letztes Wochenende habt ihr am Slam Dunk in London gespielt, wie war’s?

Das war für mich der bisher bewegendste Auftritt der Tour. Wir haben „The Car Song“ zum ersten Mal in London bei unserem Headliner-Konzert gespielt. Es war unglaublich und einfach überwältigend. Ich habe tatsächlich geweint. Klingt verrückt, aber ich habe während „The Boys Of Summer“ zu 8.000 Leuten im Publikum geschaut, zu Kid, John und Chris und gedacht: „Zwanzig Jahre, seit wir hier waren.“ Das hat mich zu Tränen gerührt. Meine Frau stand auch an der Seite der Bühne, das bedeutete mir viel.

Nimmst du deine Familie immer mit auf Tour?

Nicht immer, aber so oft es geht. Ich habe gesehen, wie meine Frau an der Seite der Bühne total abgegangen ist – sie ist Kubanerin und einfach ein bisschen verrückt. In dem Moment, als ich weinte, habe ich mich gefragt, ob sie meine Tränen gesehen hat.

Nach dem Konzert habe ich es der Band und meiner Frau erzählt, aber tatsächlich hat es niemand bemerkt. Die Emotionen kamen einfach über mich. Genau für solche Momente machen wir das.

Vor zwanzig Jahren, als „So Long, Astoria“ rauskam, haben wir all das aufgebaut, aber damals haben wir es nicht wirklich geschätzt. Man war einfach nur im Moment. Und wenn man etwas verliert und später wiederfindet, wie wir mit THE ATARIS, dann bedeutet es einem plötzlich viel mehr.

sbäm 7 - samstag the ataris

Kannst du das etwas genauer beschreiben?

Klar. Ich bin damals ausgestiegen und habe eine Band namens VERSUS THE WORLD gegründet, die sind übrigens bei SBÄM unter Vertrag. 2006 bin ich also ausgestiegen, als Chris gerade „Welcome The Night“ geschrieben hat. Damals war ich war nicht so begeistert von der Richtung. Ich wollte in einer härteren Band spielen, so wie RISE AGAINST. Also habe ich VERSUS THE WORLD gegründet und drei Alben veröffentlicht. Chris hat das respektiert und meinte, er mag meine Platten. Irgendwann sind wir wieder zusammengekommen und wurden wieder richtig gute Freunde. Manchmal braucht man einfach Abstand. Im Nachhinein muss ich sagen, „Welcome The Night“ ist ein gutes Album, aber es ist nicht mein Album.

Manche Bands kommen mit Besetzungswechseln klar. Für mich ist ZEBRAHEAD das beste Beispiel – die haben schon dreimal den Sänger gewechselt.

Ich weiß! Ich habe 1999 zum ersten Mal mit ihnen getourt, ich kenne sie gut.

Hey Mike, danke nochmal für das Interview. Ich habe nur noch zwei Fragen. Wir interviewen hier beim Festival ein paar Bands, und wir geben diesen immer die Möglichkeit, anderen Bands eine Frage zu stellen. Ich habe eine von einer Band namens HEATHCLIFF.

Ja, die mag ich echt gerne. Ich finde cool, dass sie verschiedene Genres machen – Reggae, Hardcore, Screamo, Pop-Punk. Ich mag HEATHCLIFF.

Würdet ihr sie mit auf US-Tour nehmen?

Ja, das würde ich.

Ihr habt es gehört –er würde!

Ja, klar.

Letzte Frage: Ihr habt über „The Car Song“ als den großen Bruder von „In This Diary“ gesprochen. Was willst du unseren Leser*innen diesbezüglich noch mitgeben?

Ich würde sagen: Hört euch „The Car Song“ an! Das Video ist richtig cool – wir vier im Original-Line-up und die Story ist eine Art Hommage an Breaking Bad.

Wenn ihr die Serie Breaking Bad mögt: Mein Sänger hat tatsächlich das Auto vom Set gekauft. Es ist ein Volvo, direkt aus Breaking Bad.

Danke! Danke für deine Zeit. Viel Spaß beim Festival und auf Tour!

Danke dir auch. War ein tolles Gespräch!

the ataris - mike davenport interview


Band-Links:
the ataris - mike davenport THE ATARIS - Mike Davenport

 

 

 

 

Band-Biografie (Quelle Wikipedia)
The Ataris are an American punk rock band from Anderson, Indiana. Formed in 1996, they released five studio albums between 1997 and 2007. Their best-selling album is So Long, Astoria (2003), which was certified gold. Their high-charting single is their cover of Don Henley’s „The Boys of Summer“ from So Long, Astoria. The only constant member throughout their history has been singer/songwriter/guitarist Kristopher „Kris“ Roe. Mehr auf: Wikipedia
Share on: