Schon beim Betreten des Venues war mir klar, dass es heute richtig toll werden würde. Im Vorgarten der Konzerthalle spielte eine Playlist, die meine eigene hätte sein können: TOUCHÉ AMORÉ, CASEY, THE STORY SO FAR – nichts hätte mir gefehlt.
Der Hirsch in Nürnberg war kurz vor Beginn der TUMMYACHE-Show schon sehr gut gefüllt, und die Stimmung war angenehm. TUMMYACHE waren mir vorher kein Begriff, die Band war aber ein echt guter Einstieg in den Abend. Sie starteten ruhig, wurden aber mit jedem Song gefühlt etwas schneller und lauter. Der Sound blieb trotzdem eher zurückgenommen, eher melancholisch als wütend – aber gerade dadurch passte er gut zur Stimmung im Raum und auch zum Headliner später. Die Band selbst wirkte sympathisch und locker. Zwischen den Songs wurde kurz mit dem Publikum gesprochen, unter anderem gefragt, wie man „Tummyache“ wohl auf Deutsch sagen würde, was zu ein paar amüsanten Versuchen führte. Die halbe Stunde Spielzeit verging schnell, aber sie hinterließen einen positiven Eindruck. Nette Musik, nichts Übertriebenes, einfach ein runder, ruhiger Auftakt ohne viel Show, der den Saal gut auf das, was folgen sollte, vorbereitet hat.
Es ist ein wirklich besonders schönes Gefühl, eine Band zu fotografieren, die einen schon so lange begleitet. LA DISPUTE sind für mich nicht einfach nur eine Band, sie sind ein Teil meiner Geschichte und meiner musikalischen Identität. 2023 hatte ich sie zuletzt gesehen, damals bei der 10-Jahres-„Wildlife“-Anniversary-Tour. Die Stimmung damals war aber intensiver. Vielleicht, weil sie ein ganz bestimmtes Album gefeiert haben, vielleicht, weil einfach alles auf dieses eine Werk zugespitzt war. Und doch war dieser Abend jetzt nicht weniger besonders, nur auf eine andere, ruhigere Art.
Der Einstieg war direkt eine Überraschung: „I See Everything“ als Opener hatte ich nicht erwartet, aber der Effekt war sofort spürbar. Die Energie im Raum war da, das Publikum voll dabei, und mit „For Mayor in Splitsville“ und „Edit Your Hometown“ ging es nahtlos weiter. Die Band wirkte extrem gut eingespielt und so performant wie eh und je. Vor allem Jordan Dreyer war in absoluter Höchstform – sein Gesang, ob flüsternd, sprechend oder schreiend, war so intensiv, so klar und emotional auf den Punkt, wie ich ihn noch nie live gehört habe.
Ich hatte das Glück, „No One Was Driving the Car“, das Anfang September erscheint, schon komplett hören zu dürfen. Das Review dazu folgt zwar erst Ende August, aber ich kann jetzt schon sagen: Es ist das reifste, vielleicht auch härteste und vor allem beste Album der Band seit „WILDLIFE“. Drei Songs daraus fanden den Weg ins Set: „I Shaved My Head“, „Man With Hands and Ankles Bound“ und „Autofiction Detail“. Diese funktionierten live sensationell. Die Fans kannten die meisten Zeilen schon, und die Stimmung war intensiv. Crowdsurfer gab’s erst später, insgesamt vermutlich an einer Hand zählbar und Moshpits entstanden eher bei den älteren Nummern. Trotzdem hatte man das Gefühl, dass auch die neuen Stücke bei vielen längst angekommen sind.
Dazwischen gab es eine schöne Auswahl aus „Rooms Of The House“: „Hudsonville, MI 1956“, „Woman (Reading)“ und „Scenes From Highways 1981–2009“ sowie immerhin ein Song vom 2019er „Panorama“ mit „Footsteps at the Pond“. Die Setlist war insgesamt stark ausbalanciert – alt und neu in genau dem Verhältnis, das vermutlich die meisten an diesem Abend mitgenommen hat. Für mich persönlich waren „Andria“ und „Why It Scares Me“ zwei absolute Highlights – besonders Letzterer, einer meiner liebsten Songs der Band, hat mich nochmal richtig gepackt. Und natürlich „King Park“ als Abschluss des Hauptsets mit seiner typischen Wucht am Ende, bei der man die kollektive Erschöpfung, das Mitschreien, das Loslassen richtig greifen konnte.
Als Zugabe spielten sie „Environmental Catastrophe Film“ – für mich eines der stärksten Stücke des neuen Albums. Auf Platte schon unfassbar gut, live aber nochmal emotionaler, intensiver, direkter. Und zum Schluss dann „Said The King To The River”, ein stimmiger Abschluss, ein Rückgriff auf die frühen Jahre.
Setlist LA DISPUTE:
I See Everything
For Mayor in Splitsville
Edit Your Hometown
HUDSONVILLE, MI 1956
Woman (reading)
Scenes From Highways 1981-2009
Footsteps at the Pond
I Shaved My Head
Man With Hands and Ankles Bound
Autofiction Detail
Andria
Why It Scares Me
King Park
Environmental Catastrophe Film
Said the King to the River
Auch wenn die Stimmung insgesamt etwas verhaltener war als bei der „Wildlife”-Show 2023, ich und viele andere Zuschauer:innen sind mit einem Lächeln aus dem Hirsch gegangen. LA DISPUTE bleiben eine der besten Livebands ihrer Art. Mit dem neuen Album vor der Tür wird es hoffentlich nicht lange dauern, bis man sie wieder live sehen kann.
Autor & Fotos: Anthony Seidl