Auf der Stelle getreten sind die norwegischen Ausnahme-Progies von LEPROUS noch nie, doch auf ihrem sechsten Album, das wie seine Vorgänger recht pünktlich im Zweijahresrhythmus erscheint, wagen diese den wohl größten Schritt in ihrer Bandgeschichte. Auch dieses Mal mussten Fronter und Keyboarder Einar Solberg und Gitarrist Tor Oddmund Suhrke zwei Mitglieder verabschieden, darunter auch Gründungsmitglied Øystein Landsverk. Ersatz wurde mit den jungen und bisher weniger bekannten Musikern Simen Daniel Børven und Robin Ognedal gefunden.
Da die beiden Gründer die Zügel fest in der Hand haben, tönt auch auf „Malina“ jeder Song unverkennbar nach LEPROUS, doch das experimentelle und avantgardistische „Bonneville“ zeigt bereits stark reduzierten Gitarrensound, ehe „Stuck“ recht rockig einsteigt. Einar betonte bereits im Presse-Ausschreiben, dass sich die Band heute mehr im Rock als Metal beheimatet fühlt. Zwar sind die Polyrhythmen, die außergewöhnlichen Keyboards sowie die Grundriffs von LEPROUS allgegenwärtig, aber halt nicht mehr so heavy und klarer. Doch Wutausbrüche, wie sie auf „Bilateral“ (2011) noch Gang und Gebe waren, sind sowieso Geschichte. Einar singt gefühlvoller denn je und die frühen Black Metal Einflüsse sind komplett passé. Dafür halten aber neue Elemente Einzug in den Sound der Nordmänner, denn gegen Ende von „Stuck“ setzen zum ersten und nicht zum letzten Mal Streicher ein, die sich grandios einfügen und später noch für Gänsehaut sorgen.
Doch Fans sollten nicht zurückschrecken, denn LEPROUS sind immer noch starke Songwriter und wissen wie man intensive Songs komponiert. Dem genialen Vibe und dem eindringlichen Refrain von „From The Flame“ kann man sich nach anfänglichem Stirnrunzeln bald nicht mehr entziehen. Suhrkes Spiel ist genial, die Ryhthmen laden zum Mitwippen, ja fast Tanzen ein und dennoch ist das Riffing eindringlich und einzigartig. „Captive“ steigt hingegen mit abgehaktem Riffing und Beat ein und klingt bisher am typischsten nach den Norwegern. Gesanglich legt sich der Fronter voll ins Zeug, haut wie gehabt intelligente Vocallines raus und dazu gibt es ein paar gelungene Synthies. Doch das größte Highlight folgt erst später mit dem emotionalen und veradmmt intensiven „Mirage“, das bedrohlich und etwas heavyer aus den Boxen dröhnt. Der Song baut sich langsam auf und gewinnt an Intensität, während Einar „I had been trying to break out for too long… from the cage“ rausschreit. Trotz der Verzweiflung und den Lyrics hat der Song aber auch einen positiven Charme. Der Titeltrack kommt dann wieder avantgardistisch daher. Gitarren sucht man hier vergebens, doch der Song lebt von seiner Orchestrierung, die wie schon erwähnt für Gänsehaut sorgt, und dem traurigen, verzweifelten Gesang. Das alles bekommt einen zur Band passenden Kontrast durch space´ige Synthies. „Coma“ kommt danach wieder mit eigenwilligen Beats und vielen Spielereien daher, kann aber ebenso wie „Leashes“ und „Illuminate“ nicht ganz mit den erwähnten Songs mithalten, befinden sich aber immer noch auf enorm hohen Niveau. Deutlich entspannter ist dann „The Weight Of Disasters“, das mit verschiedenen Stimmungen spielt. Zum Schluss wagen die Progies aber noch ein Experiment, mit dem man wohl nicht gerechnet hat. „The Last Milestone“ lässt sich nur schwer in Worte fassen und lässt abgesehen von Einars Stimme nicht auf LEPROUS schließen. In mehr als sieben Minuten versprüht man hier mit intensiven Streicherklängen und opereskem und cineastischem Feeling traurige Stimmung. Hier verwirklicht der Fronter und Songwriter wohl seine Liebe zur Klassik. Gewöhnungsbedürftig, aber auf jeden Fall gelungen.
LEPROUS haben sich über die Alben verändert und sich schon beim Vorgänger eher dem rockigen Sound genähert. „Malina“ mag zunächst vielleicht Fans irritieren oder gar verstimmen, doch wer offen für Neues ist, bekommt mit dem sechsten Werk der Norweger ein weiteres kleines Meisterwerk des Progressive Metal – pardon: Rock – spendiert. Nach wie vor bleibt „Bilateral“ mein Lieblingsalbum, doch „Malina“ bietet den leichtesten Einstieg und könnte der Band zu neuen Fans verhelfen, ohne den eigenen Sound komplett über Bord zu werfen.
Tracklist „Malina“:
1. Bonneville
2. Stuck
3. From The Flame
4. Captiva
5. Illuminate
6. Leashes
7. Mirage
8. Malina
9. Coma
10. The Weight Of Disaster
11. The Last Milestone
Gesamtspielzeit: 58:48