Am 23. April gastierte eine vielversprechende Hardcore-Tour mit den Bands NO FACE NO CASE, DAGGER THREAT, VARIALS und BOUNDARIES in Wien im Viper Room. Bereits früh am Abend war der Kellerclub nahe der Auslastungsgrenze – das Publikum sorgte von Beginn an für eine ausgelassene, energiegeladene Atmosphäre, die sich über den gesamten Abend hielt.
Den Auftakt machten NO FACE NO CASE aus Tschechien. Eine Band, die in der Szene vor allem durch ihren einzigartigen Nu-Beatdown-Hardcore auffällt. Mit wuchtigem Beatdown-Hardcore eröffneten sie das Konzert, wobei sich vor allem der vordere Bereich des Clubs schnell in eine aktive Zone aus Moshern verwandelte. Brachiale Breakdowns wechselten sich überraschend und gekonnt mit Techno- und Drum-and-Bass-Interludes ab, zu denen die Crowd ebenfalls begeistert tanzte. Songs wie „Flex Fiesta“ und „Out Of The Blue“ erwiesen sich als perfekte Stimmungsmacher, was auch Frontmann Matyáš Jakeš mit Kommentaren wie „Want to see more violence?“ lautstark unterstrich. Ihre Setlist war ein explosiver Mix, der unerwartet frisch klang und das Publikum optimal auf den restlichen Abend vorbereitete.
Nach diesem energetischen Auftakt betraten die Hamburger DAGGER THREAT die Bühne – für mich persönlich eine Premiere, da ich sie zuvor noch nicht kannte. Doch bereits nach dem ersten Lied war klar, dass diese Band für mich eine echte Neuentdeckung ist. Sänger Tim Rogler überzeugte mit beeindruckender Präsenz und stimmlicher Aggressivität, während die Band musikalisch eine scharfe Kante nach der anderen präsentierte. Ihre Performance sorgte dafür, dass die Hitze im ohnehin schon stickigen Club spürbar zunahm. Absolutes Highlight ihres Sets war zweifelsohne das überraschende Cover von Slipknots „Surfacing“. Zunächst wirkte es, als sei nur ein kurzes Riff als musikalisches Zitat angespielt worden, doch als klar wurde, dass das Lied komplett dargeboten würde, explodierte der gesamte Raum in purer Euphorie. DAGGER THREAT haben sich mit diesem Auftritt zweifelsohne in die Herzen vieler Hardcore-Fans gespielt, inklusive meines eigenen.
Anschließend übernahmen VARIALS aus Philadelphia die Bühne, eine Band, die auf Platte bereits unglaublich heftig klingt – live aber noch einmal eine deutliche Schippe drauflegte. Mit Songs wie „South Of One“ setzten sie ein Ausrufezeichen an diesem Abend. Das Stück erwies sich als echter Höhepunkt, live dargeboten mit einer kompromisslosen Härte und emotionalen Tiefe, die direkt unter die Haut ging. VARIALS dominierten mit einer unheilvollen Atmosphäre, unglaublich gut klingenden Gitarren-Tones und Drums, welche das Publikum und mich in ihren Bann zogen.
Schließlich war es soweit für den Headliner: BOUNDARIES aus Connecticut. Seit ihrem letzten Auftritt als Support von THE GHOST INSIDE hatte ich sehnsüchtig auf diese Headline-Show gewartet – und wurde absolut nicht enttäuscht. Bereits der Opener „Turning Hate Into Rage“ war eine komplette Kampfansage, die klarstellte, dass heute keine Kompromisse gemacht werden. Die Setlist war ein Traum für jeden Fan, denn neben Songs vom 2024er Meisterwerk „Death Is Little More“ präsentierten sie auch ältere Highlights wie „Burying Brightness“ oder „Your Receding Warmth“. Besonders intensiv war die Live-Version von „Scars On A Soul“ – ein Song, dessen emotionale Tiefe live eine unglaubliche Wirkung entfaltet. Das Publikum zeigte sich textsicher und war vom ersten bis zum letzten Song völlig außer Kontrolle: Stage-Dives, Crowd-Surfing und ein niemals endender Moshpit sorgten für pure Ekstase. Der Abend endete mit dem kraftvollen Closer „Easily Erased“, der eine perfekte Schlussnote setzte.
BOUNDARIES bestätigten an diesem Abend eindrucksvoll ihren Status als eine der aktuell besten und spannendsten Bands des Genres. Die emotionale Kraft, mit der sie ihre Musik präsentieren, ist schlichtweg überwältigend. Das Album „Death Is Little More“ ist nicht umsonst mein Album of the Year 2024.
Setlist BOUNDARIES:
Turning Hate Into Rage
My Body Is a Cage
Scars on a Soul
Darkness Shared
Is Survived By
Realize and Rebuild
Burying Brightness
Cursed to Remember
Death Is Little More
A Pale Light Lingers
Carve
Kill Me Patiently
I’d Rather Not Say
Get Out
Easily Erased
Genau solche Abende machen die Hardcore-Szene aus: Ich mittendrin mit meiner Kamera, kämpfend ums eigene Überleben und gleichzeitig Teil des energiegeladenen Chaos. Nach Konzertende offenbarte sich die Intensität des Abends sogar an der Infrastruktur des Clubs: Wände und Decke waren durch die hohe Luftfeuchtigkeit sichtbar nass geworden, und auch der Snackautomat am Ausgang beschlug – ein treffendes Bild für diesen außergewöhnlich heftigen Konzertabend.
Autor & Fotos: Anthony Seidl