Seit 2006 sind HERETOIR ein integraler Bestandteil der deutschen Post-Black Metal Szene, und seit dem genialen „The Circle“ aus 2017 einer ihrer Vorreiter. Die Augsburger beherrschen den Spagat zwischen Härte, Brutalität, Eingängigkeit und purer Melancholie so perfekt wie kaum ein anderer ihrer Mitstreiter. Und wer die jungen Deutschen bereits live erleben durfte weiß, dass dies auf der Bühne noch eindrücklicher und einnehmender passiert als auf Platte.
Der neueste Output aus dem Hause HERETOIR nennt sich „Solastalgia“ und befasst sich inhaltlich mit dem leider so brandaktuellen Thema des Leidens oder der Trauer, die Menschen wegen der tagtäglichen Zerstörung der Umwelt und des Planeten empfinden. Lyrisch wird der Bogen zum Vorgänger „Nightsphere“ geschlagen, während man sich musikalisch wieder sehr stark zum bereits erwähnten Meisterwerk „The Circle“ orientiert.
Und doch bleibt HERETOIR nicht in der Vergangenheit stecken, sondern klingt nach vorne in die Zukunft gewandt. Die Stücke sind teils noch eingängiger, weisen bei bleibender Härte einen zurückgenommenem Black Metal Anteil auf. So gut die Songs auch technisch und im Songwriting sind, ist es doch Sänger David Conrad, der „Solastalgia“, wieder einmal, seinen Stempel aufdrückt. Die Eindringlichkeit seiner cleanen Stimme, voller Schmerz und Emotion steht in herausragendem Kontrast zur vollen und kraftvollen Shouting-Performance. Conrad kann das auch live zur Perfektion, was sein Talent noch beeindruckender macht.
Es ist immer wunderschön zu hören, dass manche Bands nur ein paar Takte brauchen, um sofort ein Wiedererkennungsgefühl auszulösen.
„The Ashen Falls” ist ein typischer HERETOIR Song wie zu besten „The Circle“ Zeiten. Die Stimmung ist jederzeit melancholisch, mal träumerisch schön, mal brutal und nervenzerfetzend. Diese Kreation einer tiefen emotionalen Atmosphäre ist HERETOIR vielleicht nicht eigen, aber sie sind absoluter Meister darin. Und immer wieder ist es Conrads Gesang, der die Stimmungen in bestimmte Richtungen kippen lässt.
„Season Of Grief” nimmt die typischen stilistischen Merkmale der Band wieder auf und läuft auf knapp zehn Minuten Spieldauer durch so ziemlich jede denkbare menschliche Emotion. Es beginnt ruhig, getragen von einem coolen Schlagzeugbeat, geht mit tief verzerrten Gitarren und Gebrüll in eine neue Phase und groovt mit herrlichem Gitarrenlead zur Mitte hin. Dann geht alles wieder von vorne los.
„You Are The Night” ist ein absolutes Highlight des Albums. Der Refrain ist in seiner Melodik derartig schön und perfekt, dass der Kontrast zu Raserei noch eindringlicher wirkt. Songs wie „Inertia“, „Dreamgatherer“ oder „Burial“ sind eine Post Metal Meisterklasse. Wahnsinnig einnehmend und fast träumerisch hypnotisch in den Strophen in einen Sog ziehend, stehen dem im Refrain Blastbeats und Gebrüll entgegen und zerfetzen jede Idylle in Sekundenbruchteilen.
Die warme Stimme Conrads lädt im Titeltrack zum Träumen ein, bis man durch Blastbeatgeboller hochschreckt und bildlich gesehen hochschreckt. Es ist wahrlich Magie wir HERETOIR es schaffen einen hypnotischen Sog durch tiefe Gitarrenriffs im letzten Drittel des Songs zu erzeugen, während die cleane Stimme über allem schwebt und die Gedanken schweifen lässt.
Die einzige kleine Kritik, die man an diesem Album üben könnte, ist die Länge. Die Songs sind durchwegs anspruchsvoll, vor allem emotional, was eine Spieldauer von über einer Stunde sehr anstrengend macht, und die Konzentration überfordert. Aber ist das wirklich Kritik, da auch hier sicher die Meinungen auseinander gehen. Absolutes Wahnsinnsalbum.
Autor*in: Michael Wimmer
Tracklist „Solastalgia“:
1. The Ashen Falls
2. Season Of Grief
3. You Are The Night
4. Inertia
5. Rain
6. Dreamgatherer
7. The Heart Of December
8. Burial
9. Solastalgia
10. The Same Hell (MMXXV)
11. Metaphor (In Flames cover)
Gesamtspielzeit: 63:05
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