Wenn wir die Sache ganz genau betrachten, dann haben METALLICA nie ein gutes Album veröffentlicht – oder anders, besser gesagt, stets zu früh auf die Szene los gelassen: Das Debüt „Kill ‚Em All“ war für die Metalszene wie ein Schlag ins Gesicht, zu wild und ungestüm, mit einem rigorosen Verzicht auf Melodie klang es beinahe punkig – für die Punkszene hingegen waren METALLICA zu „metallisch“. Im Gegensatz dazu stand der Nachfolger „Ride The Lightning“, auf dem mit „Fade To Black“ eine Ballade Einzug ins metallische Soundgewand fand – Ausverkauf bereits mit dem zweiten Album? „Master Of Puppets“ wiederum forderte dem Hörer schon einiges an Konzentration ab, was sich selbst mit dem – zudem noch klinisch produzierten – „… And Justice For All“ auch nicht änderte, ganz im Gegenteil: Die Songstrukturen wurden noch komplexer, verworrener und gipfelten in schier endlosen Klanggewittern. Drei Jahre später gingen METALLICA sogar noch einen Schritt weiter und schufen mit dem bis dato etwa 15 Millionen mal verkauften „Black Album“ sogar radiotaugliche Musik, bevor man sich mit „Load“ und „Reload“ beinahe komplett von den ungestümen Wurzeln abwandte, von der Frechheit, ein Album zusammen mit einem Orchester aufzunehmen – „S & M“ – ganz zu schweigen. Und nun – nach ewig dauernder Absitenz – “
St. Anger“, METALLICA, die einst großen Heroren auf dem Nu Metal-Trip?
Da stellt sich doch für mich offensichtlich die Frage, wieso sich überhaupt wer auch nur einen Deut um METALLICA schert, wenn so und so nie ein vernünftiges Album aufgenommen wurde? Wie konnte eine Band wie METALLICA bis heute rund 85 Millionen Alben absetzen, wenn kein Album davon wirklich gut war? Die Antwort stellt sich – wie eingangs erwähnt – ganz einfach: Man war stets seiner Zeit voraus – zum jeweiligen Zeitpunkt mancherorts verrissen, zählen insbesondere die Kreationen aus den Anfangstagen heute zu den favorisierten Stücken auf Livekonzerten, werden heute hauptsächlich die ersten drei Alben als „Meisterwerke“ betitelt, während sämtliche Veröffentlichungen nach dem schwarzen Album als Tiefpunkte ihrer Karriere angesehen werden – „Load“ und „Reload“ wegen ihrem „nichtmetallischen“ Charakter, „St. Anger“ wegen der (zaghaften) Liebäugelung mit dem von „Altmetallern“ so gehasstem Nu Metal.
Aber lehnen wir uns einmal ganz relaxt zurück und versuchen, das mittlerweile achte reguläre Studioalbum METALLICAs objektiv zu betrachten; Eines ist wohl offensichtlich – der arg überproduzierte Sound der letzten Alben wurde über Board geworfen, anstatt eines glatt polierten Edelstahl-Topfes donnern uns die Megaseller eine grobe Gusseisen-Pfanne vor den Schädel, und mal ganz ehrlich: Nicht wenige haben auf diese Wendung gehofft. Radiotaugliche Formate oder gar explizite Singleauskopplungen sucht man auf „St. Anger“ vergebens, METALLICA haben tatsächlich einen großen Schritt rückwärts gemacht und sich hierauf selbst neu erfunden, nachdem man nach dem Weggang von Langzeit-Tieftöner Jason Newsted sowie James‘ Entziehungskur quasi bei Null anfangen musste. So – und nur so – konnte aus der in der letzten Zeit an den Tag gelegten gemütlichen Spazierfahrt wieder eine rasante Berg- und Talfahrt werden, den alten Übermut über Board geworfen und befreit von der last sämtlicher Suchtmittel wird auf „St. Anger“ nicht nur ordentlich Gas gegeben, sondern bedient man sich auch der alte Liebe zu rohen, ungehobelten, aber dennoch nicht minder interessanten Songstrukturen.
Stellenweise hektisch-brachial, auf der anderen Seite aber auch schwerfällig und bedrohlich, zu jedem Zeitpunkt aber äußerst impulsiv, fehlen auf „St. Anger“ nicht nur jegliche Gitarrensoli sowie komplex verschachtelte Strukturen, sondern auch das zwanghafte Streben nach breiter Massentauglichkeit. METALLICA schrauben sich hierauf in unfassbare Höhen, nur um abrupt in einen rasanten Tiefflug zu wechseln – der Titel des Albums ist in jeglicher Hinsicht Programm, Minimalität und eine gewisse relaxte Nachlässigkeit dominieren über schier endlosen Perfektionismus. Allein der Opener „Frantic“ mit einem fiesen Chorus sowie der überaus abwechslunsgreiche Titeltrack, als auch der schwerfällige, dämonische Gassenhauer „Invisible Kid“ verdeutlichen die neue Einstellung von METALLICA – Sequenzen nachvollziehbarer Strukturen mit jenen wirrer Ausbrüche zu verknüpfen, der Stimmung freien Lauf lassen und genau das zu reproduzieren, was auch schon den heutigen Erfolg des Debüts „Kill ‚Em All“ ausmachte: pure Spielfreude zu zeigen.
Zugegeben, trotz alledem finden sich auch auf „St. Anger“ – bei aller Offenheit meinerseits – einige Kritikpunkte, als da zum einen die stellenweise schwächelnde, unpassende Stimme James Hetfields wäre, zum anderen die Tatsache, dass die musikalische Rückbesinnung auch Einzug in die rüde Produktion fand. Insbesondere der bewusst simpel gehaltene Schlagzeugsound (ungetriggert, ohne Unterlage) als auch die dünn abgemischten Gitarren zeigen meiner Ansicht nach doch eine zwar gewollte, aber nicht unbedingt intelligente Nachlässigkeit. Auch wenn meiner Ansicht nach „St. Anger“ von Anfang bis zum Ende nicht nur mit äußerst starkem Matieral aufwarten kann, sondern tatsächlich – wenn auch nicht produktionstechnisch gesehen gut, so zumindest passend klingt, so würde eine Produktion im Stile von „Waking The Fury“ (ANNIHILATOR) oder auch „Iowa“ (SLIPKNOT) das Material noch zunehmens aufwerten.
Im Gegensatz dazu steht jedoch eine nicht nur – mal abgesehen vom Covermotiv – hervorragende Aufmachung, sondern auch fanfreundliche Gimmicks wie Bonus-DVD des kompletten Albums sowie persönlicher Zugang zu einer besonderen Website.
Lange Rede, kurzer Sinn – METALLICA haben sich und der Szene mit „St. Anger“ einen großen Gefallen getan und tatsächlich Mut bewiesen, wider aller Kritik stehe ich für die trotz der minderen Produktion relativ hoch ausgefallenen Bewertung ein – auf „St. Anger“ finden weniger engstirnige Szeneanhänger (dafür aus den verschiedensten Genres) durchwegs starkes bis grandioses Songmaterial, und erstmals seit langem ohne einem einzigen Durchhänger, ohne radiotauglichen Singleauskopplungen – aber wie auch jedes Album zuvor, ist „St. Anger“ definitiv zu früh erschienen.
Tracklist „St. Anger“:
1. Frantic
2. St. Anger
3. Some Kind Of Monster
4. Dirty Window
5. Invisible Kid
6. My World
7. Shoot Me Again
8. Sweet Amber
9. Unnamed Feeling
10. Purify
11. All Within My Hands
Gesamtspielzeit: 75:06