ALICE COOPER - The Eyes Of Alice Cooper
ALICE COOPER
The Eyes Of Alice Cooper
(Hard Rock)

 


Label: Spitfire Records
Format: (LP)

Release: 24.10.2003


Kunst. Ein simples Wort, welches trotz seiner Einfachheit eine breite Vielfalt an Interpretationen und Einschätzungen aufwirft, ein Begriff, welcher für den einen auf Albrecht Dürer zutrifft, für den anderen auf Hermann Nitsch. Für den einen ist Goethe ein Künstler, die Vermenschlichung von schierer Kreativität und sprachlicher Raffinesse, für die anderen gilt jenes auf Philip Roth zu – und auch im Musikbusiness: Ist für so manchen wirr-durchdachtes Gebretter der Marke CEPHALIC CARNAGE Kunst, ist es für andere ALICE COOPER. Was ist Kunst? Lieblich oder schräg, verquer? Anders als die Norm? Elitär? Relativ. Ansichtssache.

ALICE COOPER ist in meinen Augen vielleicht kein Künstler, aber zumindest ein Überlebenskünstler. Seit Ende der Sechziger hinterlässt der Schockrocker mehr oder weniger deutliche Duftmarken im Rock ‚N‘ Roll Zirkus, war lange Zeit neben OZZY OSBOURNE und KISS wohl jene Persönlichkeit, die am meisten polarisierte – eine Rolle, die neuerdings beispielsweise MARILYN MANSON übernommen hat. Doch – hat Vincent Furnier im Laufe seines Schaffens tatsächlich auch Kunst abgeliefert, Stücke, die das Zeug zum zeitlosen Klassiker hatten und gleichzeitig auch was aussagten? Ohne Zweifel – die Liste ließe sich zwar nicht beliebig lange fortführen, aber ein Doppelalbum könnte man schon damit füllen, allein „School’s Out“, „Hey Stoopid“, „No More Mister Nice Guy“, „Feed My Frankenstein“ oder auch „Poison“ bewegten nicht nur einige manisch-depressive Abtrünnige, sondern ganze Generationen. Und ja, ich respektiere ALICE COOPER – nicht für seine Schockeffekte, nicht für seine Leistungen für die „Szene“ (ach wie herrlich scheinheilig dieses Wort doch ist!), nicht für seine Musik – sondern für das, was er zu sagen hat, was er ist. Ich will hier die CD-Besprechung nicht in einer Dissertation über Persönlichkeitsanalysen und Wertschätzung von Kunst ausarten lassen, aber – welches Maß an Bedeutung darf diese Form von Respekt auf seine musikalischen Leistungen haben? Macht ihn allein das und einige Hits zu einem Künstler? Wie wichtig ist, was ALICE COOPER auszusagen hat, für die Bewertung einer seiner Veröffentlichungen? Zugegeben, ich predige stets, dass der lyrische Aspekt eines Albums nicht vernachlässigt werden sollte, aber primär geht es bei der Bewertung um das Gesamtwerk, welches leider Gottes nicht nur aus Worten, sondern auch aus Tönen besteht – und im zweiten Punkt hat ALICE COOPER bereits in der Vergangenheit große Fehltritte abgeliefert. Ein Künstler in ideologischer und theatralischer Hinsicht, musikalisch ein Mann mit einigen starken und weitaus mehr schwachen Tagen – aber zumindest wandlungsfähig.

Man erinnere sich: „Brutal Planet“ (2000) und ein Jahr später „Dragontown“ klangen anders, untypisch, moderner als das Standardwerk von ALICE COOPER – aber dennoch: Insbesondere ersteres verströmte erstmals (!) in der kompletten Historie des Schockrockers von Anfang bis Ende Kreativität, Ideenreichtum, Intelligenz, Phantasie, Eingängigkeit – kurzum Raffinesse. Jetzt – man beachte, wir schreiben das Jahr 2003 – kommt der Meister daher und knallt uns laut Labelinfo ein zeitgemäßes, modernes Album vor den Latz, welches sich dennoch auf die alten Werte besinnt. In der Theorie gut und schön, in der Praxis nicht fehlgeschlagen, sondern schlicht nicht ausgeführt, denn „The Eyes Of Alice Cooper“ ist nichts weiter als ein dreifacher Salto mit Schraube rückwärts in die eigene Vergangenheit, wo ALICE COOPER dann etwa im Jahre – mal kurz überlegen – 1975 etwas schmerzhaft mit einem Bauchfleck aufschlägt.

Für was steht ALICE COOPER eigentlich? In meinen Augen für einfach gestrickte Rocknummern mit passablen Elementen des Glams und Sleazes – teilweise mit Hitpotential -, die bisher dennoch eine Aussage, einen Sinn hatten (sowohl musikalisch als auch textlich), welche zu bewegen wussten (sowohl indirekt als auch wörtlich zu nehmen) und welche – so schlecht sie ab und an auch waren – stets wissen ließen: ALICE COOPER steht voll und ganz hinter ihnen, das, was geboten wird, mag vielleicht schlecht sein, aber zumindest mit Herzblut und gutem Willen aufgenommen. Und auch wenn es nicht „typisch ALICE COOPER“ war – „Brutal Planet“ stellte für mich neben „Raise Your Fist And Yell“ (1987) einen der wenigen absoluten Höhepunkte in seiner Karriere dar. „The Eyes Of Alice Cooper“ hingegen klingt wie ein Versuch, mit melodischem „Gute Laune Teenager Punk“ der Kategorie SUM 41 oder BLINK 182 – man höre sich „Man Of The Year“ an – mithalten zu wollen, ungewöhnlich platt, sowohl textlich als auch musikalisch. Nostalgie? Keine Spur. Kreativität? Wo genau? Herzblut? Fehlanzeige! Kunst? Anderswo!

Dabei ist die Grundsubstanz der Kompositionen zum Teil gar nicht mal schlecht, aber allein die spartanische Produktion macht alle gut gewollten Versuche bereits im Anlauf zunichte, und auch die Energie der Musiker scheint im Laufe der Jahre flöten gegangen zu sein. Interesse an einem Album mit Aussage und guter Musik? Nicht hier. Sind die Augen trübe geworden? Nein, denn ALICE COOPER ist immer noch ein Mann, der mit offenen Augen durch die Welt geht, sich kein Blatt vor den Mund nimmt – und trotz des Alters und den Drogenexzessen in der Vergangenheit mit keinem verweichlichten Gehirn zu kämpfen hat, ein Mann mit Esprit, einer Ideologie, Verstand und Mut zur Wahrheit – warum er zumindest nicht das auf dem aktuellen Album zeigt, ist mir persönlich schleierhaft.

In hinreißender Art und mit gekonnter Manier persiflierte ALICE COOPER in der Vergangenheit stets gesellschaftliche Missstände, präsentierte seine Gedanken mit der jeweils passenden musikalischen Untermalung – „The Eyes Of Alice Cooper“ jedoch klingt ungewollt, zwanghaft, uninspiriert und langweilig – geht bei einem Ohr rein und beim anderen wieder hinaus. Musikalisch gesehen findet man hier eine Ansammlung von „Worst Of“-Beispielen, Fehlern, die man von ALICE COOPER zwar bereits kennt, aber noch nicht in dieser Masse gehört hat – unausgegorene Ideen, kraftloser Rock – leider nicht mehr -, und leider auch vom textlichen Standpunkt her ideenarm.

So sehr ich ALICE COOPER auch als Person – insbesondere als intellektuelle und theatralische – schätze, selbst im Vergleich zu seinen mittelmäßigeren Alben ist „The Eyes Of Alice Cooper“ insbesondere in musikalischer Hinsicht ein neuerlicher Tiefpunkt in seiner Karriere geworden, möglicherweise eine Dokumentation von Ausgelaugtheit, Unwillen oder schlicht (verständlicher) Müdigkeit. Schade.


Tracklist „The Eyes Of Alice Cooper“:
1. What Do You Want From Me
2. Between High School And Old School
3. Man Of The Year
4. Novocaine
5. Bye Bye Baby
6. Be With You Awhile
7. Detroit City
8. Spirits Rebellious
9. This House Is Haunted
10. Love Should Never Peel Like This
11. The Song That Didn’t Rhyme
12. I’m So Angry
13. Backyard Brawl
Gesamtspielzeit: 47:58


www.alicecooper.com

 

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