Extreme sind dazu da, ausgelotet zu werden, Grenzen dafür, um gesprengt zu werden. Jedes Jahrzehnt der Musikgeschichte kann mit zumindest einer Veröffentlichung aufwarten, welche jene Eigenschaften in einer schier unglaublichen Perfektion darbietet – SLAYER’s „Reign In Blood“ war einer jener Meilensteine aus den Achtzigern, KREATOR’s „Coma Of Souls“ einer der Neunziger, und DEW SCENTED’s „Impact“ einer jener aus dem 21. Jahrhundert. Auch DISBELIEF – deutscher Garant für facettenreichen, knallharten Thrash / Death – schicken sich mit ihrer aktuellen Veröffentlichung „Spreading The Rage“ dazu an, jenen Titel zu erkämpfen, etablierten sie sich immerhin bereits mit dem Vorgänger „Shine“ zu einem Geheimtip der Szene.
Die stilistische Ausrichtung des fünften – und bis dato stärksten – Albums des deutschen Quintetts präsentiert sich breit gefächert, dennoch kompakt und gerade die stilistische Vielfalt dürfte wohl dazu beitragen, obig angesprochene Extreme auszuloten und jegliche Grenzen zu sprengen. Für ein Gros der Szene mag vielleicht MARDUK’s „Panzerdivision Marduk“ ein brachiales Album darstellen, oder auch CANNIBAL CORPSE’s „The Bleeding“ wird mancherorts als ein solches gehandelt – was jene beispielsweise angeführten Veröffentlichungen aber bei aller Extremität missen ließen, war die Unvorhersehbarkeit, das fiese, hinterhältige Attackieren, welches gerade „Reign In Blood“ auszeichnete.
Ich will „Spreading The Rage“ jedoch nicht zu sehr mit insbesondere dem Frühwerk von SLAYER vergleichen, agieren die Deutschen immerhin auf einer völlig anderen Ebene – Thrashelemente sowie Einflüsse aus dem Death Metal sind zwar durchaus noch vorhanden, jedoch nicht mehr in der Reine und Deutlichkeit, wie noch auf den Frühwerken DISBELIEF’s, haben sich immerhin mittlerweile einige Industrial- und Nu-Anleihen à la DEFTONES, DISTURBED und SLIPKNOT hinzugesellt, als sich auch durchaus einige (Metal-)Core-Einspränkelungen auf „Spreading The Rage“ verzeichnen lassen. Dies ufert in einem zwar schwer eindeutig kategorisierbaren, dafür aber umso intensiveren Hörerlebnis aus – ein kompaktes, aber dennoch aggressives Riffing deckt das weite Feld zwischen vertrackt, majestätisch und forsch-brachial ab, während Sänger Karsten erstmals mehr auf stimmliche Variation setzt und man somit auch hier unvorhersehbarer, eigenständiger und vor allem aggressiver wirken kann. Trotz aller Schnelligkeit und Härte ist „Spreading The Rage“ melodisch und eingängig genug geraten, um sowohl SOILWORK gehörig Boden zu nehmen, als auch der unglaubliche Ideenreichtum, welcher hierauf geboten wird, sich nicht hinter jenen eben genannten Schweden verstecken muss.
Auf ihrem aktuellen Longplayer präsentieren sich die Deutschen somit nicht nur in ihrer persönlichen Höchstform, sondern laufen mittlerweile zu überraschenden Qualitäten auf, können mit ihrer emotionsgeladenen, variablen Wucht erstmals ihrem bisher auch schon sehr starken Material gehörigen Ausdruck verleihen und respektable Klasse beweisen. Auch das – etwas genrefremde – Cover von KILLING JOKE’s „Democracy“ fügt sich äußerst passabel in die übrigen Eigenkreationen ein und wertet den ohnehin schon kompositorisch ausgereiften, donnernden und beinahe beispielslosen Longplayer nur noch auf.
Produzent Andy Classen hat es – auf der anderen Ebene – glücklicherweise auch geschafft, sowohl die Atmosphäre als auch die ungebändigte Wut einzufangen und „Spreading The Rage“ klanglich zu einem vielschichtigen Hörerlebnis zu machen, als auch die Aufmachung durchaus passend erscheint. DISBELIEF wissen, zu faszinieren, wissen aber ebenso um ihre Qualitäten – Experiment gelungen, sehr gut, setzen.
Tracklist „Spreading The Rage“:
1. The Beginning Of Doubt
2. Ethic Instinct
3. To The Sky
4. No More Lies
5. Spreading The Rage
6. Inside My Head
7. Death Will Score
8. For Those Who Dare
9. Addiction
10. It¸s God Given
11. Drown
12. Democracy
13. Back To Life
Gesamtspielzeit: 56:42