DREAM THEATER - Six Degrees Of Inner Turbulence
DREAM THEATER
Six Degrees Of Inner Turbulence
(Progressive Metal)

 


Label: Warner Music
Format: (LP)

Release: 2001


Den Vorgänger von „Train Of Thought“ habe ich erst im Rahmen dieser Rezi richtig kennen und schätzen gelernt; bei Erscheinen hielt ich das bis dato einzige Doppel-Album der New Yorker Prog-Regenten für zu unentschieden zwischen geforderter Härte und massenkompatibler Emotion austariert. Tatsächlich würde ich „Six Degrees Of Inner Turbulence“ erneut zwischen „Awake“, dem eigenständigsten und düstersten, und „Falling Into Infinity“, dem softesten Werk DREAM THEATERs, einordnen, allein die Songs wissen mich heuer restlos zu überzeugen, was 2002 eben nicht der Fall war. Und warum? Weil nur wirklich außergewöhnliche Kompositionen mit der Zeit reifen und dieselbe überdauern. Portnoy und sein Theater fahren davon innerhalb der zwei CDs jede Menge auf, gekrönt vom beinah dreiviertelstündigen Titeltrack, der die komplette zweite CD in Anspruch nimmt und die latente Neigung der Progressiven zum Epischen auf die Spitze treibt.

„The Glass Prison“ wurde von der Masse der Rezensenten bescheinigt, der härteste DT-Song überhaupt zu sein. Das ist falsch und ignoriert das brachial-geniale „The Mirror“ (Awake), dennoch überrascht der Opener mit gewagten, aber bestens funktionierenden Übergängen von ernsten, dramatischen Passagen in ausgelassenste Technik-Abenteuer – musikalisch lassen die Amis und der Kanadier, welcher abwechslungsreicher denn je brilliert, – sprichwörtlich die Sau raus, geben sich in einem Moment riffmäßig hammerhart, um in der folgenden Sekunde in filigranste Solo-Eskapaden zu verfallen, wie sie auf dem Vorgänger „Scenes From A Memory“ erstmals zur Perfektion gebracht wurden. Und das 14 Minuten lang, der reinste Wahnsinn. (Härtemäßig hat ja wohl der neue Silberling neue Maßstäbe im Hause DREAM THEATER gesetzt und toppt sowohl diesen Song als auch „The Mirror“ – Anm. v. Gore) „Blind Faith“ beginnt sehr gediegen und mystisch, gewinnt subtil an Fahrt und plättet den sabbernden Hörer schließlich mit einem gar göttlichen Refrain. Speziell Jordan Rudess glänzt hier mit exzellenten Parts und die Arrangements sind wieder genauso eigenartig wie virtuos. Zehn Minuten. „Misunderstood“ ist eine reinrassige Ballade, bar jeglichen Kitsches, in eine nachdenkliche, resignative Atmosphäre getaucht, die nicht selten an „Space Dye West“ erinnert, dabei jedoch wesentlich zugänglicher rüberkommt und LaBrie in absoluter Bestform präsentiert. Gut neun Minuten. „The Great Debate“ nimmt stilistisch kurioserweise Kevin Moores überirdisches OSI-Projekt vorweg: Der ehemalige DT-Keyboarder veröffentlichte wenige Monate nach „Six Degrees…“ unter Mitwirkung Portnoys „Office Of Strategic Influence“ – eine Sternstunde eigenständigen Progs mit aktuellem politischem Bezug, das ähnlich gern mit collagenhaften CNN-Samples arbeitete, um das inhaltliche Konzept zu untermauern. Überhaupt sollte erwähnt werden, dass „Six Degrees…“ unter dem Eindruck des WTC-Desasters entstand und verschiedene Aspekte der Katastrophe textlich sehr kompetent aufgreift – dank eines gewissen zeitlichen Abstandes, der die unüberlegten, radikalen Äußerungen Mr. Portnoys kurz nach dem 11. September nivelliert. Knapp 14 Minuten. „Disappear“ hätte auch auf „Falling Into Infinity“ stehen können, wenn es nicht so morbide wäre. Teilweise recht balladesk, findet ebenfalls ein Motiv aus „Misunderstood“ leicht variiert Verwendung. Bescheidene sieben Minuten.

Schließlich: „Six Degrees Of Inner Turbulence“, das in acht Kapitel aufgeteilt wurde, die zum Teil doch sehr unterschiedlich sind und dennoch fantastisch harmonieren, wenn auch nicht so nahtlos wie bei „A Change Of Seasons“ (nur 23 Minuten). Das Quintett bietet so gut wie alles auf, was es im Programm stehen hat: Gershwin-artige Keyboards im Klassik-Gewande („Overture“) – die leider des Öfteren die Schwelle zum Pathos überschreiten – patriotische Trommelwirbeluntermalungen, edle Pop-Balladen („About To Crash“, „Goodnight Kiss“) irgendwo zwischen 80er-GENESIS und QUEEN, hochmoderne, rifflastige Neo-Prog Hits („War Inside My Head“) genauso wie konzeptionelle Dialog/Musik-Szenen mit Musical-Anstrich („The Test…“) oder Hörspiel-Sequenzen im Stile QUEENSRYCHEs, angereichert mit einer Armada teils halsbrecherischer Gitarren-Soli. „Solitary Shell“ klingt einmal mehr nach RUSH, nur, wie soll ich sagen, einfach besser als das Original! Jawohl, und auch prosaisch schließt Portnoy zu seinem großen Vorbild Neil Peart auf, schlicht Weltklasse. Nachdem DREAM THEATER das zweite Kapitel geradezu maßlos bombastisch erneut inszenieren, schließt man, nicht weniger ergreifend, nach über 42 Minuten mit dem „Grand Finale“ ab. Keine Minute zu früh.

 

 


Tracklist „Six Degrees Of Inner Turbulence“:
CD1:
1. The Glass Prison
2. Blind Faith
3. Misunderstood
4. The Great Debate
5. Disappear

CD2:
1. Six Degrees of Inner Turbulence (Part I: Overture)
2. Six Degrees of Inner Turbulence (Part II: About to Crash)
3. Six Degrees of Inner Turbulence (Part III: War Inside My Head)
4. Six Degrees of Inner Turbulence (Part IV: The Test That Stumped Them All)
5. Six Degrees of Inner Turbulence (Part V: Goodnight Kiss)
6. Six Degrees of Inner Turbulence (Part VI: Solitary Shell)
7. Six Degrees of Inner Turbulence (Part VII: About to Crash (Reprise)
8. Six Degrees of Inner Turbulence (Part VIII: Losing Time / Grand Finale)
Gesamtspielzeit: 54:18 + 42:02


www.dreamtheater.net

 

DREAM THEATER - Falling Into Infinity
DREAM THEATER – Six Degrees Of Inner Turbulence
LineUp:
James LaBrie
John Petrucci
John Myung
Jordan Rudess
Mike Portnoy
9
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