Leben und Tod, Licht und Schatten

An einem regnerischen Samstagnachmittag in Helsinki verzogen wir uns mit Jennie-Ann Smith und Marcus Jidell in den Cateringbereich des Tuska Open Air, um mit ihnen bei Kaffee und Kuchen über das neue Album zu plaudern. Noch vor Interviewbeginn erfuhren wir nebenbei gleich noch, dass die beiden gerade in Salzburg auf Urlaub waren, da Marcus Familie in Österreich hat. Marcus Mutter ist aus Salzburg und daher spricht auch er etwas Deutsch. Das Interview führten wir dann trotzdem in Englisch, damit uns natürlich auch Jennie-Ann antworten kann.


Du schreibst einen Song und hast eine Idee, wie er sich anhören soll und dann kommt Jennie-Ann und macht das totale Gegenteil, aber das ist großartigMarcus Jidell


Ihr habt heute eine wirklich großartige Show gespielt. War es für euch auch das erste Mal, dass ihr am Tuska Festival gespielt habt?

Marcus & Jennie-Ann: Danke! Danke!

Marcus: Ich war heute etwas nervös, da wir heute zum ersten Mal die neuen Songs live gespielt haben. Ja wir haben heute das erste Mal am Tuska gespielt, aber alles ist gut geworden und das Publikum ist ordentlich mitgegangen. Ich bin wirklich froh darüber.

Auf eurer neuen LP „Hurricanes And Halos“ ist der erste Track “Into The Fire – Into The Storm” in einem anderen Stil als der Rest des Albums. Wer hat den Song geschrieben und warum hört er sich so anders an?

Jennie-Ann: Wir haben darüber gesprochen bevor wir mit dem neuen Album angefangen haben. Ich meine, wir haben darüber gesprochen, dass wir ein paar Songs wollen, die unser Live Set komplett machen. Es sollten ein paar geradlinigere Songs sein mit schnellerem Tempo. Ich denke wir haben das mit den neuen Songs auf unserem Album, in der Art wie wir sie geschrieben und arrangiert haben, erreicht.

Marcus: Wir wollten ein paar schnellere Songs im Set, die etwas mehr Spaß machen und gut funktionieren. Ich mag die Dynamik und die hohen und tiefen Töne in unserer Musik, die Songs sind wirklich sehr dynamisch, aber ich wollte natürlich auch die Geschwindigkeit. Das war einer der Gründe warum wir “Into The Fire – Into The Storm” gemacht haben. In dem Song hört man den Einfluss von Bands wie DEEP PURPLE oder URIAH HEEP und diese Art von Musik, die ich wirklich liebe. Ich denke du magst den Song auch (schaut zu Jennie-Ann, die zustimmend nickt) und natürlich mag ihn auch der Rest unserer Band. Vor allem Leif und ich, wir haben den Song geschrieben und wir sind große URIAH HEEP Fans. Also haben wir versucht unseren eigenen Weg zu finden.

Macht ihr einen Unterschied bei Songs für euer Album und Songs die ihr auch live spielen wollt?

Marcus: Ich bin mir nicht sicher, es ist das dritte Album und wir lernen noch immer dazu, aber wir haben einfach versucht ein gutes Album hinzukriegen. Das Album sollte verschiedene Stimmungen, Grooves, Tempos und Gefühle haben. Aber ich denke es ist dasselbe mit unseren Live Sets, dennoch sind es natürlich zwei verschiedene Sachen, es macht also einen Unterschied ob man ein Album oder ein Live-Set gestalten will. Wir lieben es live zu spielen und auch die schweren und langsamen Songs, das bringt eine gute Energie.

Jennie-Ann: Ja vor allem wenn du singst kannst du die Energie deiner Gefühle mit dem Publikum teilen. Ich denke das ist wichtig, aber andererseits würde es auch zu nichts führen wenn man das gleiche Album immer wieder in anderer Form herausbringt. Du musst dich selbst herausfordern und neue Wege finden und genau das haben wir mit „Hurricanes And Halos” getan. Es ist gut, dass wir noch immer Hunger auf Neues haben und mehr wollen.

Marcus: Ja, es ist ziemlich nahe an das Album heran gekommen, dass ich eigentlich machen wollte (alle lachen) Nein, ich bin wirklich glücklich mit dem neuen Album, aber es gibt immer etwas zu verbessern.

Der Track “Medusa Child” ist einer der längsten am Album, vielleicht zu lange, um ihn live zu spielen…

Jennie-Ann: Ja für einen Zeitraum von 40 Minuten ist er zu lange. Ich denke wir haben ihn noch nie live gespielt.

Marcus: Ich bin mir nicht sicher, ob wir ihn während der Tour einmal live gespielt haben.

Ihr habt „Medusa Child“ auch für das Artwork eures Albums verwendet, wieso habt ihr euch dafür entschieden?

Jennie-Ann: Wir haben dem Künstler die Freiheit gegeben das Album zu interpretieren und er hat diesen Song ausgewählt.

Wer hat das Artwork gestaltet?

Jennie-Ann: Sein Name ist Erik Rovanpera, er ist ein schwedischer Künstler.

Marcus: Er hat auch das Artwork für unser erstes Album gemacht.

Worum geht es in dem Song “Medusa Child”?

Jennie-Ann: Ich denke das Großartige daran ist, dass man ihn selbst interpretieren kann. Der Text ist offen dafür, was den Leuten am ehesten in den Sinn kommt, natürlich könnte man ihn explizit interpretieren, aber ich denke der Song hat mehrere Lagen. Er könnte psychologisch oder politisch sein oder sich einfach nur mit den Fragen des täglichen Lebens beschäftigen. Ich mag es nicht über Texte zu sprechen und den Leuten zu sagen was sie denken sollen. Ich denke das Großartige an einem guten Text ist, dass die Leute selbst anfangen zu denken und zu fühlen und wie sie den Text auf ihr eigenes Leben projizieren können. Ich muss dabei an eine meiner persönlichen Heldinnen denken, Joni Mitchell. Sie sagte, dass wenn ich den Leuten erzähle worum es in dem Text geht, dann werden diese, wenn sie das Lied hören nur mehr an mich denken und nicht an sich selbst. Das größte Geschenk eines Künstlers ist, dass die Zuhörer sich selbst sehen, wenn sie ein Lied hören. Etwas woran man denkt, wenn man „Medus Child“ hört (Jennie-Ann beginnt zu singen: „I just wanna be a child…“) ist das Verlangen ein Kind zu sein auch wenn die Umstände hart sind.

Das ist wirklich ein sehr interessanter Zugang zu euren Liedern…

Marcus: Ich denke das ist ein guter Weg. Wenn wir die Lieder arrangieren reden wir auch oft darüber was der Text für uns bedeutet. Ich denke der Text kann unterschiedlich interpretiert werden, in unterschiedlichen Phasen des Lebens. Wenn wir den Song arrangieren beeinflusst uns natürlich auch der Text, also reden wir sehr viel darüber. Es beeinflusst auch die Art wie Jennie-Ann singt.

Jennie-Ann: Auch wenn ich das nicht explizit mache, aber der Text beeinflusst jeden von uns. Ich denke unser Schlagzeuger Lars macht sich auch viele Gedanken zum Text, das ist etwas was wir alle teilen.

Marcus: Das gibt der Musik eine andere Dimension. Ich denke diese Dimension ist wichtig und macht den Song interessant, auch wenn man Neues ausprobiert kann man viel über sich selbst und über andere lernen. Wir reden viel über psychologische Sachen und sind sehr interessiert an unterschiedlichen Denkweisen.

AVATARIUM - Marcus Jidell & Jennie-Ann Smith

Ihr habt das Album „Hurricanes And Halos” genannt, wie der letzte Instrumental Track am Album, habt ihr zuerst mit dem Track angefangen oder war es umgekehrt? Wer hat sich den Namen ausgedacht?

Marcus: Leif hat sich den Namen ausgedacht. Ich denke, wir hatten zwei oder drei Ideen. Wir haben „Hurricanes And Halos” genommen, weil wir den Titel mochten, der Song wurde erst danach geschrieben. Wir wollten einfach ein gutes Ende, es ist wie ein „Outro“ aus dem Album.

Jennie-Ann: Ja es ist nicht üblich, dass man einen Instrumental Track als Album Titel hat, daher mag ich ihn, es war eine gute Wahl.

Marcus: Wenn du “Hurricanes And Halos” hörst, hast du viele unterschiedliche Bilder in deinem Kopf. Ich denke es beschreibt ganz gut was wir tun, die Arbeit mit Licht und Schatten.

Jennie-Ann: Ich denke, diese großen Themen, wie Leben und Tod, Licht und Schatten waren seit dem Start von AVATARIUM sowohl in unseren Texten als auch in der Musik. Es ist wie wenn man ein Gemälde mit AVATARIUM malt.

Fast alle eure Bandmitglieder sind auch in einer anderen Band aktiv, wie funktioniert euer Zeitmanagement?

Marcus: Das ist unterschiedlich, manchmal ist es ein Problem. Wahrscheinlich bin ich der am meisten Beschäftigte in der Band. Normalerweise kann ich das gut arrangieren und wir finden unterschiedliche Zeiten zum Arbeiten. Ich mag es eigentlich viel zu arbeiten. Ich denke, es ist gut mit verschieden, talentierten Leuten zu arbeiten, so bekommt man viele gute Einflüsse. Es ist auch gut für die Kreativität, aber manchmal kann es zu viel werden und man denkt sich „ich muss diese Show hier spielen und dann dort auf Tour gehen“, das ist oft sehr schwierig. Zum Glück gibt es Leute die uns unterstützen, wie zum Beispiel Booking Agencies. Wir gehen mit AVATARIUM auf Tour im September und im Oktober toure ich mit meiner andern Band SOEN, also mussten wir schauen, dass das irgendwie funktioniert. Wir mussten einiges umorganisieren, daher sind einige AVATARIUM Shows schon früher als geplant. Wenn man die Sachen ein bisschen hin und her verschiebt funktioniert es für gewöhnlich.

Jennie-Ann: Das ist ein Luxus Problem (Marcus und wir müssen lachen.)

Marcus: Ich denke, dass es gut funktioniert, aber manchmal ist es wirklich schwer.

Jennie-Ann: Ja, wenn es um die Kreativität geht ist es gut, weil du viel Inspiration bekommst.

Marcus: Ja, aber es gibt auch viele andere Leute, die diese Probleme haben, zum Beispiel wenn man arbeitet und Kinder hat und vielleicht noch studiert oder sonst irgendwas, wie sich mit Freunden zu treffen. Es gibt viele verschiedene Sachen zu tun und man hofft einfach, dass alles funktioniert. Man tut das Beste was man kann.

Einige eurer Songs auf dem Album wurden von Leif Edling geschrieben. Schreibt er nur den Text oder auch die Melodie, wie funktioniert eure Zusammenarbeit?

Marcus: Er macht das Grundgerüst, also Riffs, Texte und Melodie, aber bei der Melodie verändert Jennie-Ann für gewöhnlich sehr viele Sachen. Sie kommt und macht das Lied zu ihrem eigenen, aber wir beide Leif und ich finden das wirklich gut, dadurch wird der Song zu AVATARIUM.

Jennie-Ann: Ich könnte es nicht anders machen, ich habe meinen Stil und bringe ihn mit ein. Wir haben eine gute Kooperation. Das Großartige ist, dass wir kreative Freiheit haben. Für Leif und uns geht das so in Ordnung und Leif, als Produzent, muss den Leuten mit denen er arbeitet natürlich vertrauen können.

Marcus: Jennie-Ann ist eine der wenigen Sängerinnen die sich besser anhören, als man es sich vorstellen kann.

Jennie-Ann: Danke dir!

Marcus: Ja wenn ich einen Song schreibe ist es eigentlich das Gleiche. Du schreibst einen Song und hast eine Idee, wie er sich anhören soll und dann kommt Jennie-Ann und macht das totale Gegenteil, aber das ist großartig. Ich denke, dass Jennie-Ann immer ihren eigenen Weg zum Text und zur Melodie findet, sie versteht es auf eine Art und Weise, wie es nicht viele Sänger können. Sie wird manchmal auch sehr emotional wenn wir etwas aufnehmen. Es ist wie bei einem Schauspieler, sie wird ein Teil des Songs. Ich denke, das ist genau das was du machst, wenn du einen Song singst, du fühlst dich emotional in ihn ein.

Jennie-Ann: Ich war wirklich ängstlich bevor wir den Gesang zu “Hurricanes And Halos” aufgenommen haben, weil ich wusste, dass ich mich selbst überraschen und einen Schritt vorwärts gehen will. Für mich muss diese Kombination aus Licht und Dunkelheit unbedingt stimmen. Man kann nicht nur einen düsteren, hoffnungslosen Song machen, damit könnte ich nicht umgehen. Ich denke, dadurch würde ich nur selbst depressiv werden, ich brauche das Licht. Um mit diesen schweren und dunklen Fragen umzugehen muss man sich im Inneren transformieren und dem Ganzen etwas Hoffnung hinzufügen.

Marcus: Ja, das ist genau das, was wir versuchen, man braucht immer zwei verschiedene Seiten in der Musik und in der Kunst. Musik die sich nicht auch mit der dunklen Seite beschäftigt ist irgendwie nicht komplett. So muss die Musik zumindest für mich sein, dadurch wird sie interessant, aber natürlich darf auch das Licht nicht fehlen.

Wow, das ist ein sehr philosophischer Zugang…
Was ist eigentlich dein Lieblingssong auf der neuen LP?

Jennie-Ann: Es ist wirklich schwierig nur einen auszuwählen. Ich mag „Into The Fire” sehr, weil der Song eine großartige Energie hat und „When Breath Turns To Air” finde ich ziemlich gut, da der Song eher wie ein Folk Song ist, eingehüllt in ein AVATARIUM Kleid. Ich denke, diese zwei Lieder sind sehr repräsentativ für unser Album.

Marcus: Ich mag den Jazz Einschlag von „When Breath Turns To Air”. Der Song beinhaltet etwas Schwedische Pop Musik, etwas Jazz und ein paar düstere Melodien. Als ich damit anfing zu schreiben, beeinflusste mich eigentlich vor allem klassische Musik, doch es wurde wirklich ein guter Song. Aber vor allem mag ich „Starless Sleep“. Ich denke der Song ist ein guter Start, um diesen Stil weiterzuverfolgen. Der Song gibt mir Ideen für weitere Songs. Eigentlich mag ich alle, also das gesamte Album in einem Stück. Ich bin ziemlich glücklich damit, was im Normalfall selten vorkommt. Es war das erste Mal, dass wir mit einem Album fertig waren und ich es mir angehört habe und dabei dachte, dass es wirklich gut ist.

Wir denken auch, dass das Album wirklich gut gelungen ist und jeder der Doom mag sollte sich zumindest einen AVATARIUM Song anhören und das neue Album “Hurricanes And Halos” für sich selbst entdecken.

jennie-ann smith interview

 


Band-Links:
AVATARIUM - Marcus Jidell & Jennie-Ann Smith

 

Band-Biografie (Quelle Wikipedia)
Avatarium ist eine schwedische Epic-Doom- und Rockband aus Stockholm, die im Jahr 2012 gegründet wurde. Die Gründung der Band geht auf den Geburtstag des Bassisten Leif Edling im Jahr 2012 zurück. Edling beschloss zusammen mit Mikael Åkerfeldt eine neue Band zu gründen. Da Åkerfeldt jedoch zu sehr in Opeth involviert war, konnte er an dem Projekt nicht mehr teilnehmen. Edling, der bereits drei Lieder fertiggestellt hatte, kam stattdessen der Gitarrist Marcus Jidell zu Hilfe, wodurch es möglich war in Jidells Studio zu proben.  Mehr auf: Wikipedia
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