Der Freitag stand am Summer Breeze 2022 unter keinem guten Stern, bzw. sollte ich eher sagen, unter keinen guten Wolken. Schon vorab mahnte uns der Wetterbericht, gute Kleidung mitzunehmen, denn eigentlich hätte es nach dem sonnigen Mittwoch schon am Donnerstag viel Regen geben sollen. Davon wurde das Festival zwar weitgehend verschont, doch dafür kam es am vorletzten Tag umso dicker. Frühaufsteher störte der Nieselregen kaum und so füllte sich das Gelände schon vormittags dank den Death’n’Roll Urgesteinen von DEBAUCHERY, aber vermutlich auch, um sich auf eine recht exotische Truppe vorzubereiten, denn schon um 12:00 Uhr sollte das Youtube-Phänomen BLOODYWOOD auf der Mainstage stehen.
Die abgefahrene Truppe aus Neu-Delhi sorgte schon vor 2019 mit „Machi Bahsad (Expect A Riot)“ mächtig für Aufsehen. Da war es nur eine Frage der Zeit, bis die Inder, die einen Mix aus Thrash, New Metal, Rap, Core und Bollywood-Sounds präsentieren, auf die großen Bühnen Europas kommen. Zwar haben die Herren (noch) nicht arg viele Hitkandidaten neben dem erwähnten Durchstarter, doch die Herren wissen definitiv, wie man Stimmung macht. Egal ob Sänger und Shouter Jayant Bhadula grinsend mit der Crowd redete, Rapper Raoul Kerr während den Songs selbige motivierte oder Trommler Sarthak Pahwa mit seiner Dhol barfuß über die Bühne fegte und dabei zahlreiche Posen ablieferte, man wusste eigentlich nicht recht, wo man hinblicken sollte, weil auf der Bühne, obwohl es keine Art von Bühnenshow gab, so viel abging. Die Menschmassen gaben der Band recht, denn schon jetzt war es vor der Mainstage halbwegs voll und die Stimmung mehr als großartig.
Es folgte auf der gleichen Stage sogleich im Anschluss, also gut 15 Minuten später, da es die Drehplatte des Vorjahrs nicht mehr gab – diese sparte die Umbaupausenzeit fast komplett ein – fettes Kontrastprogramm. Und schon bevor die Show der Symphonic Deathcore Überflieger LORNA SHORE die Bühne enterten, ergab sich ein unglaubliches Bild, denn vor der Mainstage war es rappelvoll, und das bis ganz nach hinten, als hätte man es hier mit einem Headliner zu tun. Und das bereits um 12:00 Uhr mittags.
Und auch LORNA SHORE wurden ihrem Ruf mühelos gerecht. Mit Neuzugang Will Ramos wagte man im vergangenen Jahr, nach fast 10-jährigem Bestehen eine Art Neustart mit der EP „…And I Return To Nothingness“, dem ja noch diesen Oktober das neue Album „Pain Remains“ folgen soll. Mag sein, dass LS auf der Mainstage etwas unpassend waren und eine Abend- oder sogar Late-Night Slot auf der T-Stage besser zu Gesicht gestanden hätte, doch wo hätte man die zig-tausend Leute hin gepackt? Auch soundtechnisch war es nicht perfekt, doch was die Herren aus New Jersey hier technisch auspackten, war ohne Worte. Die Truppe hochkonzentriert am Frickeln und Riffen, überließ vorrangig Will die Bühne, der diese auch gekonnt nutzte und mit verschiedensten Growls aus der Hölle für Aufsehen sorgte. Nur Drummer Austin Archey wirkte, als könnte er trotz dieser unglaublichen Beats, Blasts und was weiß ich noch alles an technischem Geholze, nebenbei noch Zeitung lesen. Aber genau wegen ihm setzten zahlreiche, riesiege Mosh- und Circlepits ein und aus diesen kamen dann saudreckige, aber mehr als zufriedene Fans. LORNA SHORE lieferten eine Soundwand sondergleichen und ein mächtiges Statement, und werden in zwei oder drei Jahren definitiv auf dem Summer Breeze in Richtung Headliner-Slot, oder zumindest kurz davor schielen – verdient, wie ich hinzufügen muss.
Setlist LORNA SHORE:
To the Hellfire
Of the Abyss
…And I Return to Nothingness
Sun//Eater
Cursed to Die
Into the Earth
War die Performance von den Herren aus New Jersey aus genannten, technischen Gründen etwas steif, so brach bei COMEBACK KID, wie gewohnt, sofort die Hölle los. Andrew Neufeld und seine Veteranen aus dem kanadischen Winnipeg ballerten 45 Minuten ohne Verschnaufpause durch. Mit einem gekonnten Mix, das vorrangig aus dem aktuellen Werk „Heavy Steps“ und den beiden gefeierten Vorgängern bestand, zeigte die Hardcore-Legende, wo der Summer-Breeze’ler sein Bier her holt – und im Moshpit gleich wieder verschüttet. Zwar lichteten sich die Reihen vor der Mainstage vor dem Auftritt etwas, da ja auch SLOPES, die Fun-Truppe NANONWAR OF STEEL und die LANDMVRKS zeitgleich aufgeigten, doch die Stimmung war großartig und der Elan noch viel größer. „Crossed“, bei dem eignetlich ja Joe Duplantier von GOJIRA mitsingt, ging ebenso gut ab wie der Titeltrack des genannten Werkes oder das Mitsing-Teil „Wasted Arrows“. Andrew war ständig am Grinsen und ging ab auf der Bühne, als gebe es kein Morgen. Den Mann mal scharf auf ein Foto zu bekommen, ist schon fast olympische Disziplin. Dementsprechend verschwitzt, verdreckt und ausgepowert, mussten sich viele Fans erstmal wieder fangen und dann stärken. Was für eine Show! Drei unglaublich energische Auftritte, die auf jeden Fall lange im Kopf bleiben und dabei war es gerade mal 15:00 Uhr!
Setlist COMEBACK KID:
Heavy Steps
False Idols Fall
Talk Is Cheap
Crossed
G.M. Vincent & I
All In A Year
Dead On The Fence
Absolute
Wasted Arrows
Wake The Dead
Da mittlerweile erste Schauer einsetzten, mussten wir uns und viele andere Festivalbesucher erstmal neu einkleiden. Am Rückweg, durften wir aber den Power Metallern ORDEN OGAN noch etwas auf die Finger schauen. Fronter Seb Levermann, der aufgrund seiner Corona-Erkrankung einen Auftritt absagen und sich bei einem weiteren durch Sigi Samer (DRAGONY, Ex-VISION OF ATLANTIS) vertreten lassen musste, war wieder topfit und bei bester Laune und Stimme. Mit „Gunmen“ und „The Things We Believe In“ waren Mitsingchöre vorprogrammiert und auch hier war die Atmosphäre grandios.
Im Anschluss folgte unser erster Besuch auf der T-Stage an diesem Tag, denn dort fuhrwerkte schon niemand geringeres als Barney Greenway mit seinen Herren NAPALM DEATH. Wie immer ein bizarrer Anblick, was da auf der Bühne abging. Barney hatte lange Hosen an (?!), ansonsten aber gut gelaunt und agil wie eh und je und fegte hektisch und auch etwas verrückt wirkend über die Bühne, während er seine Growls, Grunts, Pigsqueals und was weiß ich nicht alles and Geräuschen aus seine Kehle drückte. Die restliche Truppe blieb da gechillter und feuerte Grindcore Gassenhauer, nach der Reihe raus. NAPALM DEATH hat ja sowohl den kürzesten Song überhaupt als auch – für Genreverhältnisse – fast schon epische Nummer an die vier oder fünf Minuten. Für Abwechslung war also gesorgt. Und auch nach zahlreichen Shows irritiert mich in Kombination mit dieser Brachialität der britische Akzent, der so gar nicht zu dieser Wut passen mag. Alles in allem lieferten die Männer aus Birmingham hier aber wieder mehr als gekonnt ab und machten von ihrer mehr als 40-jährigen Erfahrung gut Gebrauch.
Ich kann nur nochmal erwähnen, wie verdammt abwechslungsreich das LineUp vom Summer Breeze stets ist, denn wenn direkt nach Grindcore ein schräger Mix aus Power-, Folk- und Piraten Metal folgt, dann ist das zum einen schon mutig, zum anderen aber auch klar, dass nun ALESTORM auf der Mainstage stehen. Chris Bowes hat ja sowieso schon einen Stammplatz am Summer Breeze, egal ob mit seinen Piraten, seinen intergalaktischen Power Metallern GLORYHAMMER, und womöglich in Zukunft auch mit seinem Symphonic Black Metal Project WIZARDTHRONE, der Schotte hat stets etwas zu bieten.
Dass mittlerweile so einiges an Nässe aus dem Himmel gesandt wurde, störte weder die trinkfesten Schotten noch die große Crowd vor der Bühne, die teilweise die Not zur Tungend machte und in der mittlerweile beachtlichen Matsche, wie ich sie am Breeze bisher noch nie erlebt habe, badeten und wälzten. Auch Bowes nahm es gelassen, scherzte munter seine Piraten-Scherze und heizte mit Hits wie dem C64-Hit „Mexico“, „Seventh Rum Of A Seventh Rum“, „Hangover“ oder „Zombies Ate My Pirate Ship“, die allesamt lautstark mitgebrüllt wurden, ein. Wer die Texte nicht kannte, der tanzte, bangte oder begab sich in den Matsch-Pit.
Setlist ALESTORM:
Keelhauled
Treasure Chest Party Quest
Mexico
Magellan’s Expedition
The Sunk’n Norwegian
Shipwrecked
Seventh Rum Of A Seventh Rum
Alestorm
Hangover
Zombies Ate My Pirate Ship
Nancy the Tavern Wench
P.A.R.T.Y.
Captain Morgan’s Revenge
Shit Boat (No Fans)
Drink
Pirate Metal Drinking Crew
Rumpelkombo
Fucked With an Anchor
Obwohl sich bisher so ziemlich alle Bands auf der Mainst-Stage als würdige Headliner erwiesen, war mit WITHIN TEMPATION um 21:15 der eigentliche Main-Act des Freitags an der Reihe. Man kann Symphonic Metal Bands wie WT oder auch NIGHTIWISH mögen, oder auch nicht, doch Live-Shows zelebrieren können die Niederländer rund um Strahlefrau Sharon Del Adel auf jeden Fall. Mit fettem Sound, zahlreichen Hits und einigen Pyros wärmten die Dame und ihre Herren die durchnässte und vollgematschte Zuschauerschaft ziemlich schnell auf und spätestens bei „In The Middle Of The Night“ konnte sowieso kaum mehr jemand ruhig stehen und mitgesungen werden will die Hymne ja auch. Bei „Faster“ und vor allem dem Gänsehaut-Hit „Ice Queen“ wurde es sowieso laut. Sharon in feschem Kleid, setzte sich auch mal eine Krone auf und schwenkte auch mal solidarisch die Ukraine-Flagge und führte auch sonst sympathisch und gekonnt durch die mit fettestem Sound ausgestattete Live-Show, die viel zu schnell verging.
Setlist WITHIN TEMPATION:
The Reckoning
Paradise (What About Us?)
In the Middle Of The Night
Stand My Ground
The Purge
Faster
Raise Your Banner
And We Run
Shed My Skin
Angels
Entertain You
What Have You Done
Ice Queen
Our Solemn Hour
Supernova
Stairway To The Skies
Mother Earth
Wer es zwischendurch schaffte sich aus dem Kniehohen Matsch auf dem Battlefield zu lösen, der konnte auf der Wera Tools Stage noch einen Blick auf die motivierten Old-School Thrasher von SPACE CHASER, die dank überdachter Bühne doch so einige Leute anziehen konnte, auf die thrashenden Finger schauen. Eine kurze, aber mehr als unterhaltsame Show, ehe es retour zur Main-Stage ging.
Wenn eine Band perfekt für eine Show kurz vor Mitternacht ist, dann auf jeden Fall AMORPHIS, denn die Finnen versprühen mit ihrem Sound schon seit jeher perfekt ihre frostig-düstere-Finnland-Atmosphäre und die schlug schon mit dem Opener „Northwards“ vom aktuellen Meisterwerk „Halo“ auf das zahlreiche Publikum über. Wie gewohnt war Front-Ex-Dreadlocke Tomi Joutsen stimmlich perfekt unterwegs. Egal ob Shouts, hymnische Gesänge oder filigrane Vocals, der Mann hat einfach alles bestens im Griff. Außer vielleicht sein Retro-Micro, denn das fehlte mir irgendwie. Das sollte aber an der genialen Show voll mit Hits und Hymnen wie „Silver Bride“, „The Moon“ oder auch „House Of Sleep“ nichts ändern. Einzige Kritik ist vielleicht, dass das Breeze den Finnen nicht mehr Zeit gaben, denn auf den bisher 14 veröffentlichten Albe befinden sich ja bekanntlich noch zahlreiche weitere Highlights, die sicher vielen Fans an diesem Tag fehlten. Aber auch so wieder ein grandioses Erlebnis.
Setlist AMORPHIS:
Northwards
On the Dark Waters
Silver Bride
Into Hiding
Wrong Direction
The Moon
Seven Roads Come Together
Amongst Stars
Black Winter Day
My Kantele
The Bee
House Of Sleep
Wer noch Zeit, Lust und Energie hatte, der bekam mit LORD OF THE LOST noch ein kleines Highlight serviert. Im Vorprogramm von IRON MAIDEN mit pervers grauenhaftem Sound gestraft, konnten die Herren rund um Chris Harms hier zeigen, wie stark die Gothics live sein können, wenn die Umstände passen. Fette Brecher, klassische Gothc-Rocker und so manch experimentelle Songs garantierten einen mehr als gelungenen Abschluss des Freitags am Summer Breeze.
LORD OF THE LOST:
Drag Me To Hell
Morgana
The Gospel Of Judas
Born With A Broken Heart
Under The Sun
Children Of The Damned (IRON MAIDEN)
Ruins
Six Feet Underground
Blood For Blood
Die Tomorrow
Loreley
La bomba
Ein langer, naßer und anstrengender Tag ging zu Ende. Dennoch freuten wir uns neben dem Schlafsack auch auf den finalen Tag des Summer Breeze 2022, denn da warteten noch ein paar weitere Highlights auf die Anwesenden Metalheads.